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Was weiß der Richter von der Liebe

Was weiß der Richter von der Liebe

Titel: Was weiß der Richter von der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Ungerer
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fallen.
    Keiner wollte Herrn Meckelfeld töten. Herr Meckelfeld ist aufgeregt bis zum Anschlag. Die Richter, die Verteidigung und der Staatsanwalt, sie gehen ihrer Arbeit nach: das Glaubhafte herauszuklopfen aus dem Steinbruch der Erinnerungen. Das Loslassen sei doch das Bedeutendste an dem Geschehensablauf – warum er das nicht bei der Polizei geschildert habe. »Warum soll ich denn damals gelogen haben?« – »Ich stand unter Schock, okay? Ich hatte nur noch Angst, Angst, Angst.« Und als sie insistieren: ob er bei der Feier getrunken habe; warum er einfach weitergepichelt habe mit seinem Quälgeist und dessen Kumpels; dass seine immer detailreichere, zeitlupenartige Erinnerung nur sehr schwernachvollziehbar sei – da bricht Herrn Meckelfelds tiefste Wahrheit aus ihm heraus: Er habe dem Tod in die Augen geschaut! Seine Angstzustände, woher die denn wohl kämen! Er wache auf in nassen Betten.
    Das interessiert nicht. Hat keine Beweiskraft. Alles Leid darf draußen bleiben. Herr Kesten im Übrigen auch: Acht Monate zur Bewährung erhält der Kobold, morgen kann er wieder zurückkehren zu seinen Abrissarbeiten, und wenn man an das Gute glaubt, dann wird er so bald keinen mehr aus dem Fenster hängen. Denn normalerweise, sagt Herr Kesten, sei er gar nicht so der aggressive Mensch, aber das Wohnen mit Herrn Meckelfeld sei wirklich unerträglich gewesen – weswegen er dann auch die Flucht ergriffen habe und ausgezogen sei.

ALETHEIA 2
    Eigentlich ist Herr Kagel ein Guter, da ist man sich hier weitgehend einig. Das haben Staatsanwalt, Verteidigung und Richter schon in den Verhandlungen herausbekommen, die der Hauptverhandlung vorangegangen sind. Verständige, gebildete Leute sind das, sie erkennen einen Guten noch, wenn sie ihn sehen. »Ein Stück weit tragisch« sei es, was Herrn Ari Kagel, 43 Jahre alt, Name geändert, widerfahren sei, das weiß der Verteidiger zu berichten. »Tragik«, sie geht auch dem Richter über die Lippen, und selbst der Staatsanwalt weiß voller Mitleid zu singen von der »bisher erlittenen Untersuchungshaft« – und außerdem sei ja Herrn Kagels Lebenswerk zerstört.
    Lebenswerke aber, das weiß man als kultivierter Mensch, Lebenswerke haben nur Personen von Geist und von Rang, Gauner und Betrüger haben das nicht. Und also liegt es zum Greifen in der dünnen Moabiter Luft: dass Herr Kagel ein Guter ist. Nur muss man das jetzt irgendwie noch in juristisch trockene Tücher bringen.
    Daher wollen wir gut zuhören, was es über ihn zu berichten gibt, den silberhaarigen, allzeit gefassten Herrn Kagel, der nur in seltenen Momenten seine einschmeichelnde Stimme zu erheben braucht – sein Leben und sein tiefer Fall, sie werden hier von Befugteren aufgeblättert, und so hört auch er den Berichten darüber zu, wer er ist und was er geleistet hat. Vieles ist zusammengetragen worden von den Geschichtenfindern in Schwarz, vieles hatauch Herr Kagel selber beizutragen und lässt es durch seinen Anwalt verlesen.
    Herr Kagel, dies vor allem, hat in jahrelanger Plackerei eine vorbildliche Bildungsstätte und Behindertenwerkstatt aufgebaut. Orientiert an anthroposophischem Gedankengut, hat er Arbeitsplätze geschaffen und vielen Behinderten eine Aufgabe. Seine Mitarbeiter waren vertrauensvoll um ihn geschart, entsetzt wiesen sie zurück, was dann und wann an Rückzugserwägungen aus Herrn Kagel herausbrach. Immer mehr Verantwortung hatte der sich über die Jahre aufgeladen, achtzehn Stunden hatte der Arbeitstag, und jemand vom Finanzamt sagte ihm einmal: Er sei doch unterbezahlt.
    Herr Kagel aber mochte nicht weichen: »Man sah mich«, so lässt er verlesen, derweil der vom Sinnieren schwere Kopf die Zeilen in Kopie mitliest, »als ›charismatische Persönlichkeit‹, als ›Garanten für den Erfolg‹.« So einer ist Herr Kagel, gäbe es doch mehr wie ihn, die Sozialsenatorin hat ihn persönlich gelobt. Sein Anwalt steuert noch mehr Werdegang bei: »Mein Vater war Schlosser und Heizungsmonteur, meine Mutter Friseuse.« Oder: »In der DDR war ich als Liedermacher anerkannt.« So klingen die Anfänge ganz großer Geschichten, und diese hier mündet in ein Meer von Aus-, Fort- und Weiterbildungen: Sozialfürsorge, Gemeindepädagogik, Psychodrama, Bewegungstherapie, Gestalttherapie, autogenes Training, Sozialtherapie, Heilerziehung – und was immer noch nötig sein sollte, um den dunklen Kontinent der Seelen zu bereisen und um letztlich hochqualifiziert sämtliche Leitungstätigkeiten zu übernehmen, die

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