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Was weiß der Richter von der Liebe

Was weiß der Richter von der Liebe

Titel: Was weiß der Richter von der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Ungerer
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richtigerweise gehört: im Wettbüro Albers in der Charlottenburger Bismarckstraße, idyllisch gelegen zwischen der »Croissanterie Bistro-Steh-Cafe« und der Damenboutique »Nina Louise«, inmitten des guten alten Westberlin mit seiner sechsspurigen Behäbigkeit, seinen Sparkassen und Bräunungsstudios und seinem säuberlich umzäunten kleinen Rasenkarree, das auf den Namen Sophie-Charlotte-Platz hört, und das von 50-jährigen Joggerinnen, 20-jährigen Gruftipunks und südländischen Entspannern unklaren Alters bewacht wird, von denen der eine oder andere zuweilen hinüberwächst in jenen zeitlosen Raum: ein grün-in-grün ausgestattetes, sich nach hinten hin verengendes Lokal voller Bildschirme, auf denen Zahlenreihen blinken oder letzte Hände an Rennautos gelegt werden oder Windhunde in Zeitlupe wetzen; wo Din-A-4-Kopien an allen Wänden die aktuellen Quoten verkünden; Wettscheine und leere Bierflaschen sich frei verteilt haben über Ablagen und Tische; wo türkisch, slawisch, asiatisch und sonstwie berlinerisch anmutende Mitbürger hinter gerunzelten Stirnen ein geheimes Wissen mit sich herumtragen, und wo jede Wette erst richtig schmeckt, wenn zunächst ausgiebig getigert und debattiert und bereut und storniert und neu gewettet worden ist, denn jedes Gesprächkann ein Anstoß sein, jede Quotenänderung eine filigrane Gewinnkonstruktion zum Einsturz bringen; worauf schnell reagiert werden muss: Hin muss man zur Wettannahme, die meist mit kulanten, weiblichen Studenten bestückt ist und nur in unglücklichen Momenten mit Herrn Dettmers, der, wie Zeugen bestätigen, »ein sehr Korrekter« ist.
    An dessen Kragen finden wir Herrn Cannizzaro wieder: Drei Jahre rückwärts gerutscht und weniger gefasst als heute, hat er den Geschäftsführer gepackt und über den Tresen zu sich gezogen, gleich wird es eine Ohrfeige und böse Worte von Umbringen und Abstechen geben, wird Herr Cannizzaro zu irgendetwas greifen, an das er sich heute nicht mehr genau erinnern kann und das nach allgemeiner Übereinkunft eine Schere gewesen ist, und er wird dieses Ding also inmitten seiner tiefsten Verzweiflung erheben gegen Herrn Dettmers. Hoffend, des Lesers Urteil mildern zu können, müssen wir berichten, was das für ein Tag war, dieser deprimierende 3. Juli 2002: Für einen Mann, der sich von klein auf für den Fußball begeistert und ihn schon so viele Jahre spielt – am Wochenende die italienischen, spanischen und deutschen Ligen, unter der Woche UEFA-Pokal und Champions League –, für einen so treuen Wettkunden ist der 3. Juli 2002 eine schwarze Tunke der Trübsal: Vor Tagen noch sind die Größten der Größten aufeinandergetroffen, haben die Ronaldos und Kahns um die Krone ihres Sports im WM-Finale gekämpft, jedes einzelne Zuspiel, jeden Kopfstoß, jeden Einwurf hat man bangend und jubelnd verfolgen können – und nun ist das alles vorbei, diese Lebensfeier, tutto finito, nach dem Fest gähnt ein Loch vonWochen: Bis zum August wird es dauern, dass wenigstens die Bundesligakicker sich wieder auf ihre Rasenflächen bemühen, von Italien und Spanien zu schweigen. Jetzt, am 3. Juli, knolzen gerade einmal ein paar Schweizer und Schweden da weiter, wo sie vor der WM ihre Bälle liegengelassen haben, doch deren Ligen spielt Herr Cannizzaro gar nicht gerne – »Dilettanten!« –, und wenn man an einem Mittwoch wie diesem schon in skandinavische Partien verwickelt wird, folgt weiteres Unheil natürlich rasch nach.
    Herr Cannizzaro hat sich dennoch zu ein paar Tipp-Anstrichen durchgerungen, St. Gallen gegen Zürich, Kalmar gegen Göteborg, Örgryte gegen Örebro – da kann man nur seinen Zettel einreichen und es direkt wieder bereuen, kann stornieren gehen bei der Studentin an der Kasse, alle Überlegungen noch einmal von vorne anstellen, kann einen neuen Zettel einreichen, der sich für kurze Zeit besser anfühlt, bis man die Lage noch einmal umerwogen hat, von einem schlechten Gefühl beschlichen wird und wieder hindrängt zur Kasse – wo nun Herr Dettmers thront und einem mit den Geschäftsbedingungen kommt, die irgendwo am Eingang vor sich hin vergilben, und der sich aufbläst: Das Geld gebe es nur zurück, wenn er das wolle, und als da jemand von hinten zischelt: »Der gibt nie Geld raus« oder »Die bei Albers betrügen doch eh alle«, und als man seine schönen Scheine noch an der Kasse liegen sieht, da wird man dann eben fortgerissen von seinem Temperament, schnappt sich Kerl und Schere und schnappt sich einen Zipfel

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