Was weiß der Richter von der Liebe
verurteilt werden: Drei Jahre, neun Monate Haft. Per Fax lässt der Menschelmensch grüßen: Krank sei er, in Teheran, und könne nicht kommen – das Herz!
KOMMT WIEDER REIN, ES IST KALT
Sie hat ihn doch geliebt. Aber sie hat es dem Küchenmesser nicht gesagt, oder sie hat es nur der rechten Hand gesagt, und die rechte Hand hat es nicht richtig mitbekommen, und so hielt sie das Küchenmesser fest im Griff, irgendeines, das sie gerade zu fassen bekam – hätte sie ihn töten wollen, so hätte sie doch das Messer mit der längsten Schneide genommen! Sagt sie zum Richter. Diese Klinge hier maß aber nur zehn, zwölf Zentimeter, ein kurzer Weg, der Weg, den die Liebe verborgen ist im Menschen: zehn Zentimeter zirka. Das Messer ging nachsehen. Die Liebe, sie war nicht zu finden.
Das Herz hatte Glück. Der Messerstich, er traf in keine Herzkammer, er traf die Scheidewand zwischen den Kammern. Das ist nicht ganz so wild. Da kann das Herz noch weiterpumpen. Das Herz hatte Pech: Das Küchenmesser, das so glatt hindurchging durch die Brust, weil es von der weichen Zwischenrippenmuskulatur nur unwesentlich aufgehalten wurde und auch den Rippenknorpel nur im Vorüberschießen ritzte – dieses Messer riss mit seiner scharfen Schneide die Herzkranzschlagader auf, und eine geöffnete Herzkranzschlagader länger zu überleben, damit hätte auch ein junges, gesundes Herz Probleme. Dieses hier aber war schon vorgeschädigt, Narben zeugten von einem erlebten Infarkt – was wissen wir von seinem Besitzer? Cholerisch war er, und er trank gern, und bei 168 Zentimeter Länge wog er neunzig Kilo. Die Klinge verschwand aus seinem Körper so plötzlich, wiesie gekommen war, das sture Herz, es pumpte und pumpte, stoßweise schoss das Blut aus der geöffneten Ader, wacker verrichtete das 42 Jahre alte, schadhafte Herz seinen Dienst. Und pumpte sich leer.
Josip war dabei. Josip ist ein ruhiger, melancholischer Mann, 49 Jahre alt, angegrautes Haar in militärischem Bürstenschnitt, still kommt er im karierten Jackett herein ins Gericht, legt seinen Regenschirm quer auf den Stuhl, ehe er sich setzt. Josip sagt, die beiden hatten öfter Streit: sein Freund Niša, 42, und dessen Freundin Elsbeth, 60 Jahre alt. Josip sagt: So schnell, wie sie in Hitze gerieten, so schnell versöhnten sie sich auch wieder. Sie verständigten sich dabei meist ohne Sprache: Sie sprach kein Serbokroatisch, er sprach kaum Deutsch. Ob sie seine Beleidigungen habe verstehen können? Josip zuckt mit den Schultern: Jedenfalls hat er dafür nicht den Tod verdient.
Dieser Abend des 19. Dezember 2005 war einer von der besonders angespannten Sorte. Erstens mal stand Weihnachten vor der Tür, was ohnehin die Nerven belastet. Zweitens hatte Elsbeth ihren cholerischen Niša versetzt. Weil der sie drittens zur Bank in Schöneweide schleppen wollte, wo sie für ihn einen Kredit aufnehmen sollte. Viertens, das ergab sich dann nach der Rückkunft des angetrunkenen Niša und nachdem der schon tüchtig randaliert hatte in seinem Wohnheimzimmer, viertens war es auch noch der Namenstag von Nišas Sohn, dem aus erster Ehe, von der Frau, mit der Niša möglicherweise, fünftens, immer noch was hatte. Stoisch seine Schnäpse stürzend, beäugte Gast Josip den ewigen Umlauf der Situation: Vom Geschrei ging es schnellhin zur Versöhnung, dann schrie man wieder, dann wurde Musik angemacht und getanzt, dann wollte Elsbeth von ihrem Niša geküsst werden, steckte sie ihm die Zunge in den Mund und sagte: Guten Appetit! Josip ging kurz weg, es war kurz vor Geschäftsschluss bei Aldi. Dann war er wieder da. Die Lage schien sich beruhigt zu haben.
Was kurz darauf passierte, das kann keiner mehr so richtig zufriedenstellend berichten. Es ist, als hätte das Küchenmesser ein Eigenleben bekommen, als hätte es genug gehabt von den ewigen Streitereien: dass Niša seine Elsbeth als Hure und Nutte beschimpfte; dass er ihrer Mutter sexuelle Gewalt androhte (ihre Mutter ist fünf Jahre tot, sagt verständnislos Elsbeth dem Richter), dass er versprach: Ein Kind habe sie ja bereits verloren, jetzt werde er das andere auch umbringen, und ihr Enkelkind dazu; dass Schreierei und Eifersucht hier hochsuppten, sobald Niša auch nur das Telefon in die Hand nahm – dabei kam doch diesmal nur die Stimme seiner Schwiegertochter aus dem Hörer. Längst kochte in Elsbeth hoch, was sie an Erniedrigungen durch Niša erlebt hatte; einmal, sagt sie, hatte er ihr sogar ein Messer an den Hals gehalten – und ihm nur
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