Was weiß der Richter von der Liebe
zeigen, wie das weh tun kann, das wollte sie, das und mehr nicht, und aufgestanden ist sie kurz vom Sofa, hat sich mit der Linken aufgestützt auf Josips ruhiger Schulter, so dass Niša verdeckt war und Josip gar nicht richtig mitbekam, wie Elsbeth ihren Niša erstach.
Sie ging hinaus. Der Erstochene stand auf. Der Erstochene sagte zu seinem Freund: Er möge einen Arzt holen. Er trug ein Loch in der linken Brust. Er trug es hinaus in den Wohnheimflur,er trug es zum Pförtner, Josip folgte ihm, Elsbeth rief noch: Kommt wieder rein, es ist zu kalt. Aber sie kamen nicht wieder herein. Am Wohnheimausgang wiederholte der Erstochene: Josip möge doch einen Arzt rufen, er wisse nicht, ob der Pförtner es getan habe. Dann wurde er matter. Dann wurde er schwach. Josip sagte ihm, er müsse durchhalten, ein Arzt komme sicher bald, Josip warnte: nicht hinlegen, und Niša sagte: Ich muss und legte sich auf die rechte Seite. Josip hielt seinen Kopf in den Händen. Der Pförtner brachte ein Kissen. Nišas Kopf war ganz nass von Schneeregen oder Schweiß.
Irgendwann kam auch Elsbeth hinunter, sie fragte: Was spielst du, komm nach oben. Da röchelte Niša schon, da zuckte er mit den Beinen, Josip sagt: Das war schwer zu ertragen. Und Elsbeth ging. Und Niša zuckte. Zitterte. War dann ganz ruhig. Josip sagt: Ich glaube, er ist in meinen Händen gestorben.
Doch da pumpte Nišas Herz noch, das weiß die Gerichtsmedizin, geschlagene vier Stunden pumpte und pümpelte es weiter, derweil der Rettungswagen anrückte, derweil Niša sterbend zugeladen wurde, derweil seine Elsbeth auf die Polizisten hinstürzte: Ich war es! Ich war es! Ich wollte es nicht; derweil an Nišas sterbendem Körper noch herumgeschnitten und herumgeflickt wurde; alles, um das Herz zu retten, welches sich leer pumpte und leerer und sein tiefstes Geheimnis mitnahm.
»Ob er mich geliebt hat, weiß ich nich’«, sagt Elsbeth zum Richter. »Er hat das nie gesagt. Vielleicht ist das bei den Jugoslawen Mode, dass man das nich’ sagt.« Sie sagt: »Ich hab’ überhaupt nich’ gezielt. Ich hab’ nich’ zugestochen. Das waren miralles böhmische Berge, wie ich erfahren hab’, dass er tot is’.« Sie sagt: »Ich hab’ mich gut mit ihm verstanden und alles, wir wollten auch heiraten. Den Monat vorher waren wir beim Standesamt.« Elsbeth B. hat geliebt. Jetzt muss sie für viereinhalb Jahre ins Gefängnis. Ihre Wangen sind eingefallen, ihre langen strohigen Haare nach hinten gebunden. Elsbeths Augen brennen, als sähe das Böse selbst einen an oder die tiefste Verzweiflung.
EIN NORMALERWEISE GUTER MANN
Mit Herrn Cannizzaro schwebt die ganze Sonne Italiens herein, wärmend herein in einen Gerichtssaal, der Tageslicht nur von ein paar nahen Innenhofwänden kennt, und der so ungefähr hundert Sitzplätze zu weit gefasst ist für die kleine Runde, die sich hier heute versammelt: für Herrn Cannizzaro in seiner leichten Jacke, in Jeans und roten Turnschuhen, mit seiner elegant gewählten silbernen Brille über traurigen Augen wie denen des Mimen Sylvester Stallone; für den Staatsanwalt, der sich einlassen wird: Nie, noch nie habe er einen solchen Angeklagten erlebt, keine einzige Frage sei überhaupt klar beantwortet worden; für den Verteidiger, der entgegnen wird: Man möge doch Herrn Cannizzaro seine Nervosität zugute halten, und dass er auf eine italienische Art und Weise geantwortet habe, wo eben nicht immer alles gleich so furchtbar streng auf den Punkt kommt; für die allzeit interessierte Richterin, ihren Hofstaat und die zweieinhalb Zuschauer. Der Rest des Saals bleibt leer, der Sicherheitsglaskasten bleibt leer, seltsame Strecken liegen zwischen allen Beteiligten, und da ist man froh über Herrn Cannizzaro, der nach eigener Aussage »normalerweise guter Mann« ist und nur hier eine Sache gemacht habe, die »bisschen schlecht« war, und schon für das »bisschen schlecht« wollen wir an Staates Stelle treten und ihm alles nachsehen und verzeihen, ihm unglückselige Umstände zugute halten wie einen Strauß Sommerblumen, wollen ihm seine Reue abnehmen, wenn er sagt: Er habe mittlerweile die Händevon den Fußballwetten gelassen; Stress machten die, richtig Stress, er habe Freunde verloren durch sie, und wir lesen lippensynchron aus seinen Rocky-Augen: Niemals hat er Herrn Dettmers umbringen wollen, tausendprozentig nicht, er ist »nicht die Sorte«.
Herr Dettmers war zum falschesten Zeitpunkt an einem Ort, wohin er als Geschäftsführer allerdings
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