Was weiß der Richter von der Liebe
schauen. Was aus den Träumen und aus den jungen Familien geworden ist. Aber es kommt ja niemand. Frau Persigehl weiß das selbst, und vielleicht auch deswegen hat sie uns angesprochen, auf dem Weg heimwärts vom Gericht, auf dem Weg zur S-Bahn hin, in der sie etwas länger sitzen wird als wir. Von welcher Zeitung wir denn wohl seien.
Und zögerlich, wie man ist, und vorsichtig, wie man sich Menschen gegenüber verhält, bei deren Verurteilung wegen Raub und vorsätzlicher Körperverletzung man soeben zugesehen hat, so hat man eben doch nicht ganz zugemacht, hat man sich eben doch ins Gespräch begeben mit Frau Persigehl, Sonja, 25 Jahre jung, Kinderpflegerin und derzeit im Erziehungsjahr, schlaksig, langhaarig, anders gekleidet als wir und mit dieser gewissen Entschlossenheit im Blick, mit einem lebendigen Aufruhr der Seele, und mit einer gewissen Selbstgerechtigkeit auch, die uns gar nicht stören will für den Moment, da Frau Persigehl uns ankommt. Jetzt geben wir uns ihr hin, so wie sie dem Gesetz und der Berichterstattung ausgeliefert sein wird, jetzt leihen wir ihr ein Ohr, das sie braucht. So viele wollen vor Gericht wenigstens einmal ihre Geschichte erzählt haben, ganz gleich, was ihre Strafe sei.
Frau Persigehl hatte weitgehend geschwiegen. Vor dem Gesetzhatte ihre Geschichte keine Rolle gespielt. Das Gesetz hatte mit den Fingern geknackt, es hatte sich mit den Händen über die Stoppelhaare gefahren, hatte sich über die müden Augen gestrichen und an seinen Augenbrauen gezubbelt. Dem Gesetz lag ein klarer Fall vor: Raub eines Hundes unter Ziehen an den langen Haaren der Beraubten, aktenkundige Hämatome, polizeilich wieder beigebrachter Hund, eine geständige Beklagte.
Der Hund Massimo hat einmal Frau Persigehl gehört, ein Wurf war ihrer Hündin unterlaufen, sechs Welpen hatten da das Licht der Welt erblickt, wovon einer starb und die übrigen alle weggegeben wurden: an Bekannte und Verwandte, geimpft und mit Verträgen, die Frau Persigehl selbst aufsetzte und in denen sie sich ein Besuchsrecht beim Hund zusichern ließ. Regelmäßig sah sie nach ihren Schützlingen, denen es gut ging bei den Verwandten und weiter außerhalb, vor den Toren der Stadt.
Nur Massimo war im Pech: Nach einem Jahr, in dem er zum imposanten Labradormixrüden herangereift war, konnte seine Besitzerin ihn nicht mehr halten, aus privaten Gründen, wie es heißt, und da traf es sich zunächst ganz gut, dass Frau Ebeling von schräg gegenüber in der Vincent-van-Gogh-Straße sich auch gerade einen Hund wünschte oder aber doch ihr Lebensgefährte.
So wechselte Massimo den Besitzer, blieb ganz in der Nähe zum Glück, regelmäßig würde man sich sehen beim Gang um die Platte, und massig in die Riemen legen vor Freude würde Massimo sich, wenn Frau Persigehl ihm begegnete, würde hechelnd die Leine und Frau Ebeling hinter sich herziehen, auf Frau Persigehlzu, da willigte sie gern ein. Nur den Lebensgefährten, den hatte sie nicht richtig bedacht. Den kannte sie damals noch nicht so gut.
Nie hätte es sonst so weit kommen, nie das strafbare Geschehen sich zutragen können, nie wäre Frau Ebeling beim Abendspaziergang überfallen und an den Haaren zu Boden gezogen, niemals der Hund ihr entrissen worden, niemals hätte Frau Ebeling sich von einem urplötzlich aufgewachten Schöffen erklären lassen müssen: Wenn Massimo sie als Leittier anerkennen würde, hätte er sie bei dem Überfall ja verteidigt! Er hat Sie nicht verteidigt?
Worauf der Richter die bewegliche Sache in Schutz nahm: Der Hund sei ja nicht angeklagt. Niemals aber hätte auch Frau Persigehl sich vor Prozesseröffnung zu einem Brief an die Geschädigte, 24 Jahre alt, überwinden müssen, in dem sie noch einmal ihre »Sorge um den Hund Massimo« darlegte und um Entschuldigung nachsuchte, »dass ich Ihnen aus Verzweiflung an den Haaren gezogen habe«.
Frau Persigehl sagt, sie hätte Zeugen beibringen können. Viele Zeugen. Jeder bekomme ja mit, was da ablaufe bei Frau Ebeling und ihrem Lebensgefährten, dem angeblich ehemaligen, wegen Hartz IV. Ständig sei da etwas los, auch nachts, manchmal sei der auch für länger verschwunden, da habe Frau Ebeling dann auch schon mal die Weisung durchgeboxt, dass der Lebensgefährte sich ihr nicht mehr nähern dürfe, aber das sei ja alles hinfällig gewesen, sobald der wiedergekommen sei aus dem Knast.
Sie selbst habe er auch schon geschlagen, sagt Frau Persigehl,aber mit ihrer Strafanzeige sei das wie mit allem: Seit
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