Was will man mehr (German Edition)
gratuliere euch ganz herzlich!» Sie drückt mir die Hand. Ich sehe, dass sie gerührt ist.
Melissa hätte auch gern ein Kind, doch bislang hat dieser Plan nicht funktioniert. Sie und Schamski haben es nicht nur mit Sex, mehr Sex und noch mehr Sex versucht, sondern auch systematisch schwangerschaftsfördernde Maßnahmen ergriffen. Schamski kann ein Lied von Hormonyogakursen, Gemüsesaftkuren und Meditationswochenenden singen. Um ein Haar hätte er sogar das Rauchen aufgegeben. Melissa selbst hat das schließlich verhindert, weil sie merkte, dass er ohne die Zigarette danach weniger Lust auf das Programm davor hatte.
Es ist unübersehbar, dass sie Angst vor jenem Tag hat, an dem es für ein Kind zu spät sein wird. Das tut mir nicht nur leid, weil ich sie mag. Ich glaube auch, dass Schamski und Melissa gute Eltern wären. Schon seltsam, dass den beiden verwehrt bleibt, was sie sich wünschen, während mir ein Wunsch erfüllt wird, den ich überhaupt nicht hatte.
«Vielen Dank», sage ich. «Komm! Setz dich und trink was mit uns!»
Sie schüttelt den Kopf. «Ein anderes Mal. Ich muss noch ein paar wichtige Telefonate erledigen. Außerdem möchte ich euch nicht stören.»
«Du störst nicht», sage ich.
Sie lächelt und zeigt dabei ihre makellos gebleachten Zähne. «Nett von dir, Paul. Aber ich muss mich trotzdem ums Geschäft kümmern.»
«Alter Charmeur», sagt Schamski, als Melissa in ihrem Büro verschwunden ist. «Jetzt ist dir der Job so gut wie sicher.»
«Welcher Job?»
«Als Melissa eben von der Einarbeitung sprach, da meinte sie, dass ich dich hier probeweise als Vertretung einarbeiten soll. Ich hätte es dir noch gesagt, aber ich dachte, wir trinken erst mal was.»
«Du hast tatsächlich mit ihr geredet?»
«Logisch», erwidert Schamski und nimmt einen tiefen Zug aus seinem Glas. «Du kannst den Laden schmeißen, während ich auf Mallorca bin. Wenn alles gut läuft und du dich obendrein mit Melissa verstehst, hast du den Job. Aber ich seh da kein Problem. Nachdem du Vater geworden bist, wünscht sie dir offensichtlich nicht länger die Pest an den Hals.»
«Okay», sage ich erfreut. «Und wann soll’s losgehen?»
«Übermorgen.»
«Großartig.» Ich nehme mir vor, morgen bei Elisabeth einen guten Eindruck zu hinterlassen und mich ab übermorgen hundertprozentig auf meinen neuen Job zu konzentrieren. Es ist schön, wieder eine Perspektive zu haben, auch wenn es eine bescheidene Perspektive ist.
Schamski hebt sein Glas. «Dann also willkommen in der Fitnessbranche.»
Wir prosten uns zu.
«Und wann sollen wir die Einarbeitung machen?», frage ich hochmotiviert.
Schamski winkt ab. «Du bist hier einerseits der Hausmeister, andererseits so ’ne Art Psychotherapeut. Die Hausmeistertätigkeit kann ich dir in ein paar Minuten erklären. Den Job als Psychotherapeut musst du dir selbst beibringen.»
Ein paar Tage später weiß ich, was Schamski gemeint hat. Die meisten Kunden, die Melissas in die Jahre gekommenes, aber irgendwie charmantes Studio aufsuchen, wollen nicht nur ein paar überflüssige Pfunde, sondern auch ein paar persönliche Probleme loswerden. Bei einem Kaffee oder einem Mineraldrink erzählen sie ganz selbstverständlich von ihren gescheiterten Ehen, ihren langjährigen Haftstrafen oder ihren exotischen Krankheiten. Tom, der Kerl mit dem schlechtsitzenden Toupet, den ich bei meinem ersten Besuch hier gesehen habe, hat eine Ehe und zwei Herzoperationen hinter sich. Momentan kämpft er um den Fortbestand seines Feinkostladens. Das Geschäft ist seit Generationen im Familienbesitz, deshalb würde Toms greiser Vater eine Schließung mit Sicherheit nicht überleben. Tom verschweigt ihm beharrlich, dass der Laden seit Jahren nicht mehr rentabel ist. Früher gab es viele ausländische Kunden. Heutzutage muss Tom sich den Markt mit unzähligen Internetanbietern teilen.
«Du musst endlich mit deinem Vater reden», sagt Janet und nippt an ihrem schwarzen Kaffee. Die Dame mit dem knallbunten Trainingsanzug und den signalroten Lippen ist keinen Tag älter als achtundfünfzig. Und das schon seit mehreren Jahren, wie ich von Melissa hinter vorgehaltener Hand erfahren habe.
«Du wirst sehen, dein Vater kann die Wahrheit vertragen. Und wer weiß, vielleicht überrascht dich seine Reaktion ja sogar.»
Tom und ich sehen sie fragend an.
«Als ich meinem Mann nach fast vierzig Ehejahren den Laufpass gegeben habe, da dachte ich, er würde sich sofort das Leben nehmen. Oder zumindest in eine tiefe
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