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Was will man mehr (German Edition)

Was will man mehr (German Edition)

Titel: Was will man mehr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Rath
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Gesicht, das mich interessiert zu mustern scheint. Es gehört zu einem ebenso zierlichen Körper, der vollständig in Audreys linkem Arm geborgen liegt. Unser Baby ist so klein, dass ich es fast übersehen hätte. Ein bislang nicht gekanntes Glück erfasst mich beim Anblick unseres Sohnes. Es fühlt sich an, als würde ich innerlich einen Stich bekommen und durch dieses kleine Loch mit Euphorie geflutet werden. Ich bin gerührt. Rasch wische ich mir eine Träne aus dem Augenwinkel.
    «Hallo? Hört mich da jemand?» Audrey wirkt nun ungeduldig. Sie sieht sich um. Wahrscheinlich hält sie nach jemandem Ausschau, der ihr mit der Technik helfen kann.
    «Ich bin längst hier», sage ich endlich. «Entschuldigung. Ich war nur gerade etwas … überwältigt.»
    «Hallo, Paul.» Sie lächelt, lehnt sich zurück und betrachtet einen Moment das winzige Wesen in ihrem Arm. «Ich weiß, was du meinst. Ich war auch überwältigt. Und ich bin es eigentlich immer noch.» Sie strahlt.
    Ich beobachte die beiden und spüre, dass ich mich ihnen sehr nah fühle, obwohl mehrere tausend Kilometer zwischen uns liegen. Zu gerne würde ich diesen harmonischen Moment noch länger genießen, aber Audrey holt mich mit einem Schlag auf den Boden der Tatsachen zurück.
    «Was machst du eigentlich in London?», fragt sie, als wäre meine Anwesenheit hier völlig überflüssig.
    «Du hast gesagt, ich soll mir überlegen, ob ich für unser Kind da sein möchte, und das habe ich getan. Deshalb bin ich hier.»
    «Das war doch erst vor drei Tagen. Ich dachte, du würdest mehr Zeit zum Nachdenken brauchen.» Sie sagt es immerhin mit einem kleinen Lächeln.
    «War nicht nötig», erwidere ich. «Ich hab mich schnell entschieden.»
    Sie nickt ernst. «Nur damit das klar ist, du schuldest uns nichts.»
    «Das habe ich schon verstanden», erwidere ich. «Ich bin freiwillig hier. Und ganz ohne Hintergedanken.»
    «Gut», erwidert Audrey. «Ich möchte nämlich nicht, dass du dir falsche Hoffnungen machst.»
    «Hoffnungen worauf?», frage ich ahnungslos.
    «Was weiß ich? Vielleicht denkst du, dass aus uns beiden doch noch ein Paar werden könnte. Oder vielleicht möchtest du auch, dass wir so ein modernes Familiending versuchen. Eine Vernunftehe mit Anhang oder so.»
    «Nein», sage ich. «Ich erwarte überhaupt nichts. Ich möchte lediglich für unseren Sohn da sein. Das ist schon alles.»
    «Okay.» Audrey nickt. «Dann freue ich mich.» Sie dreht den Kopf zur Seite und liebkost das Baby. «Und Dragijonarah freut sich ebenfalls.»
    «Dragijo… wer?», frage ich perplex.
    «Dragijonarah», erwidert Audrey. «In der Sprache der Wympinaheé heißt das: Weg des Baumes. Als Zweitname habe ich mich für Newton entschieden. Weil ich die Arbeiten von Helmut Newton sehr mag.»
    «Draginera Newton?», resümiere ich verblüfft.
    «Dragijonarah», verbessert Audrey.
    Ich schnappe mir einen leeren Zettel und einen Stift. «Kannst du das bitte mal buchstabieren?»
    Audrey hilft mir, den Vornamen unseres Sohnes zu notieren.
    «Gefällt dir der Name etwa nicht?», fragt sie lauernd.
    «Dragijonarah», lese ich von meinen Zettel ab. «Also, ich weiß nicht …»
    «Er gefällt dir also nicht», schlussfolgert Audrey spitz.
    «Ich muss mich wohl erst daran gewöhnen», erwidere ich sanftmütig.
    Sie nickt bedächtig. «Wäre dir Kolamquamqui lieber gewesen?»
    «Was?»
    «Kolamquamqui – Wasser der Zukunft.»
    «Nein», sage ich leicht genervt. «Aber vielleicht wäre mir Heinrich lieber gewesen. Oder Karl. Meinetwegen auch Max oder Otto. Überhaupt hätte ich gern auch einen Vorschlag gemacht.»
    «Der Name gefällt dir also überhaupt nicht», konstatiert Audrey scharf.
    «Stimmt», erwidere ich schlecht gelaunt. «Je länger ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir, dass man vielleicht einen Geländewagen, ein Ballerspiel oder ein chinesisches Fertiggericht Dragijonarah nennen sollte, aber nicht unbedingt ein kleines Kind.»
    «Ach? Und warum nicht?»
    «Weil Kinder sich dazugehörig fühlen wollen», motze ich. «Kein Kind will wie ein böser Zauberer heißen.»
    «Du bist ein ganz schlimmer Spießer, weißt du das?», blafft Audrey.
    Dragijonarah erschrickt und beginnt zu weinen. Audrey versucht ihn zu trösten. Ich schweige, weil ich nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen will. Das hilft aber nichts. Ich habe das Maß sowieso schon überschritten.
    «Ich glaube, wir machen jetzt besser Schluss», sagt Audrey barsch. «Die brauchen sowieso die Leitung. Und

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