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Was will man mehr (German Edition)

Was will man mehr (German Edition)

Titel: Was will man mehr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Rath
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Iris. «Niemals.»
    «Hey! Was soll ich machen?», frage ich leicht gereizt. «Ich stehe hier in einer alten Jogginghose von Schamski. Mein Anzug kommt erst morgen aus der Reinigung. Ich war nicht darauf eingestellt, heute noch chic auszugehen. Aber tun wir mal so, als würde ich es in diesem Aufzug in die Bar eines Fünf-Sterne-Hotels schaffen. Was übrigens mehr als unwahrscheinlich ist. Sie werden entweder die Polizei rufen oder versuchen, mich mit ein paar Küchenabfällen abzuwimmeln …»
    «Paul! Komm bitte zum Punkt!», fährt Iris dazwischen.
    Ich seufze. «Deine Großmutter mag mich nicht», erkläre ich. «Sie wird mich noch viel weniger mögen, wenn ich in Jogginghose im Caine Hotel auftauche und sie frage, ob sie noch alle Tassen im Schrank hat. Verstehst du mein Problem?»
    Ein kurzes Schweigen.
    «Meine Großmutter ist seit Tagen für niemanden zu erreichen», erwidert Iris ruhig. «Unter anderen Umständen würde sie morgen in großer Runde ihren achtzigsten Geburtstag feiern.»
    «Sie hat morgen …?», setze ich erstaunt an, doch Iris fährt ungerührt fort.
    «Stattdessen erfahre ich von der Polizei, dass sie in einem Nobelhotel die Bar unsicher macht. Im letzten Jahr ist ihr Mann abgehauen. Dann hat ihr Unternehmen Pleite gemacht, und jetzt müssen auch noch die Immobilien dran glauben. Wahrscheinlich hat sie nicht mal eine Rente. Sie steht also vor den Trümmern ihres Lebens, und heute um Mitternacht wird sie den absoluten Tiefpunkt erreichen.» Iris macht eine Kunstpause. «Verstehst du jetzt auch mein Problem, Paul?»
    Ich werfe einen Blick zur Uhr. Gut zwei Stunden bis Mitternacht. Keine Zeit, nochmal nach Hause zu fahren und zumindest eine vernünftige Hose anzuziehen.
    «Okay. Ich kümmere mich drum», sage ich und bin etwa so begeistert wie jemand, der gerade vom König zum Vorkoster ernannt worden ist.

[zur Inhaltsübersicht]
    Sind Sie Gast unseres Hauses?
    Das Caine Hotel ist ein neoklassizistischer Kasten mit extrem schlechter Busanbindung. Hinter den Fenstern des zur Straßenseite gelegenen Restaurants funkeln die Marmorböden mit den Kronleuchtern um die Wette. Man speist in einer Art Ballsaal, die Abstände zwischen den Tischen sind entsprechend großzügig bemessen. Kellner in roten Samtjacken schleppen mit größter Diskretion kostbare Weine und erlesene Speisen an die Tische. Die Anhäufung von Jacketkronen, Maßkonfektionen und Brillantschmuck lässt darauf schließen, dass man als Gast dieses Hotels nicht bloß irgendwie vermögend, sondern ganz konkret reich sein sollte.
    Nun denn. Ich ziehe meine Jogginghose etwas höher und will mich gerade zum Hoteleingang wenden, da höre ich eine leicht nasale Stimme sagen: «Könnten Sie bitte vom Fenster zurücktreten, Sir? Danke.»
    Der Pförtner hat mich entdeckt. Nun möchte er wohl verhindern, dass ich mir die Nase am Restaurantfenster platt drücke und damit die Gäste erschrecke. Mit unverhohlener Arroganz mustert er meine Jogginghose und mein Sweatshirt. Er selbst trägt eine dunkelgraue Uniform mit schwarzem Revers und einen Bowler. Modisch ist das mindestens genauso ein Flop wie mein Aufzug, nur sieht der Pförtner obendrein aus, als hätte er gerade die Postkutsche verpasst. Sein arroganter Blick ruht auf mir. Er wartet auf eine Reaktion.
    Ich habe mir schon im Bus überlegt, wie ich diese Hürde meistern würde. Meine Idee war, einen sympathischen und zuvorkommenden Hotelangestellten anzutreffen, der mir Hemd und Hose leiht und mich mit einem aufmunternden Lächeln in die Bar schleust. Ich hatte also gehofft, mir könnte das passieren, was allen armen Säcken in fast allen amerikanischen Filmkomödien passiert. Ich gebe zu, der Plan war sehr optimistisch. Im richtigen Leben ist der Pförtner also leider ein arroganter Fatzke, der mich zutiefst verachtet, weil ich am unteren Ende seiner Weltordnung stehe. Drinnen sitzen jene, vor denen er aufopferungsvoll buckelt. Leute wie mich hingegen würde er gern mit einem Fußtritt davonjagen.
    «Scher dich weg, du Galgenstrick!», würde er im Stil einer viktorianischen Respektsperson rufen. «Oder ich bring dich ins Zuchthaus!»
    Glücklicherweise leben wir nicht in einem Roman von Charles Dickens, und es gibt auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, dass ich hier Schamskis Jogginghose spazieren führe.
    Aber es ist schon seltsam. Es gab mal eine Zeit, da konnte ich es mir leisten, in solchen Hotels abzusteigen. Damals hätte ich vielleicht auf einen Typen, der in

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