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Was wir erben (German Edition)

Was wir erben (German Edition)

Titel: Was wir erben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: BjÖrn Bicker
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Beine und steckmir irgendwelche Sachen in die Muschi. Aber dann will ich bei den Typen im Publikum Geld kassieren. Nele hat laut gelacht und dabei ihr Maul weit aufgerissen. Das kannst du knicken, habe ich plötzlich gesagt. Ich hatte nie ein Problem, jeden Scheiß mitzumachen, aber jetzt habe ich keine Lust mehr. Ich verstehe überhaupt nicht, was der ganze Quatsch soll. Das, was wir hier machen, hat nichts mit dem zu tun, was diese Künstlerinnen tun, von denen du gesprochen hast. Gar nichts. Wir spielen irgendein veraltetes Stück und versuchen krampfhaft, dem Ganzen Aktualität und Brisanz einzuprügeln. Aber warum machen wir das? Wann hast du dich das zuletzt gefragt? Nele schwieg. Du machst den Job, weil du ihn machst. Weil du nichts anderes kannst. Weil du auf einer Welle reitest, die dich nach oben gespült hat. Stell dich selbst auf die Bühne und erzähle von deinem Leid. Erzähle den Leuten, warum es dir so dreckig geht. Warum du mit Männern nicht klarkommst. Warum du morgens um elf schon anderthalb Flaschen Champagner in der Birne hast. Dabei kannst du dich ausziehen und den Leuten dein Arschloch zeigen. Wenn du das machst, dann bist du mutig. Dann erzählst du etwas über diese Gesellschaft, aber nicht, wenn ich als Schauspielerin ein bisschen mit den Titten wackel und mir darin gefalle, dass sich ein paar Spießer dar über aufregen. Wenn ich das höre: Kunst und Leben vermischen sich. Wo denn? Du hast es doch gesehen bei den Improvisationen: Nichts ist passiert. Nichts. Das ist alles Theater. Als ob. Nicht mehr und nicht weniger. Es geht um nichts. Wennsich Frau Abramovic die Haut aufschlitzt, dann tut es ihr weh. Uns tut nichts weh. Sag bitte nicht, du willst die Gesellschaft verändern, die Menschen sensibilisieren. Glaubst du wirklich, die Leute warten dar auf, sich von dir die Welt erklären zu lassen? Die gehen ins Theater, um sich zu bestätigen, dass sie kritisch sind. Das bisschen Aufregung, diese gespielte Empörung, wenn es auf der Bühne heftig wird, das ist nichts als ein routiniertes Selbstberuhigungsritual. In den Zeitungen schreiben sie darüber. Dein Marktwert steigt. Wenn dich der Umgang der Leute mit dem Fremden empört, dann geh raus aus dem Theater. Geh dahin, wo die Leute leben, die keiner haben will. Hilf ihnen. Mach Theaterkurse im Jugendzentrum, arbeite im Frauenhaus, mach Politik, zettel Unruhen an, aber lass mich mit deiner feigen Kunstscheiße in Ruhe! Du merkst gar nicht, wie du dich zugrunde richtest. Schau dich nur an. Du bist krank, habe ich Nele angeschrien. Du bist eine Säuferin. Lass dir helfen! Ich habe am ganzen Leib gezittert. Und dann habe ich in die Hose gemacht. So stand ich da. Vollgepisst. Aber angriffslustig. Nele ist in ihren Stuhl gesunken und hat angefangen zu heulen. Die Regieassistentin hat ihre Tasse nachgefüllt. Neles Augen waren rot wie die Feuerwehr. Ich bin raus. Die Regieassistentin ist mir nachgelaufen und hat mir in der Garderobe mit einer frischen Jogginghose vor der Nase rumgewedelt. Ich habe ihr die Hose aus der Hand gerissen und sie angeschrien. Sie soll sich verpissen, habe ich gesagt. Da hat sie angefangen zu lachen. Aber das hast
du
dochgerade gemacht, dich verpisst. Ich habe erst gar nicht verstanden, warum sie lacht, aber dann ist der Groschen gefallen. So viel Humor hätte ich ihr gar nicht zugetraut. Ich habe die Hose gewechselt. Das bleibt unter uns, habe ich die Assistentin gebeten. Logo, hat sie gesagt und mich an den Schultern gegriffen, als wollte sie sagen, Kind, setz dich grade hin. Auf dem Fahrrad habe ich ernsthaft überlegt, alles hinzuwerfen. Nein, habe ich gedacht, die paar Tage bis zu den Ferien schaffst du noch. Ich musste an den Bestatter denken. An seine einfachen Fragen.
    Später am Abend hat Nele bei mir angerufen. Sie wollte sich entschuldigen. Sie könne verstehen, dass ich mich überfahren gefühlt habe von ihrem Vorschlag. Man könne ja mal abwarten, wie sich die Proben entwickelten. Man müsse nichts erzwingen. Auf der Bühne sollten ohnehin nur Dinge stattfinden, denen ich ausdrücklich zustimme. Sie fing wieder an, mir zu erklären, was sie an dem Stück
so sehr
fasziniere. Sie teile meine grundsätzlichen Zweifel am Theater. Sie habe auch regelmäßig diese
Krise
. Es sei schließlich kurz vor Spielzeitende, alle seien ausgelaugt. Nach den Ferien könne man neu starten. Ja, ich bin müde, habe ich gesagt, ich muss jetzt schlafen. Bevor ich auflegen konnte, musste ich ihr noch etliche Male versichern, dass

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