Was wir erben (German Edition)
Deutlichkeit sagen, keine Lust mehr, um mich, die Kollegin
herumzuscharwenzeln wie um einen Popanz.
Er hat wirklich das Wort
Popanz
benutzt. Nun sei Schluss. Man müsse darüber reden. Er wolle unbedingt wissen, was die anderen darüber denken. Seine Neugierde war gelogen.Er hatte sich längst mit den anderen besprochen. Die Kollegen ließen nicht lange auf sich warten. Ihnen gehe es genauso. Was denn mit mir los sei. So würden sie mich nicht kennen. Das ganze Programm von Fürsorge bis Vorwurf. Niemand enttäuschte. Die Souffleuse fing an zu heulen. Die Hospitanten machten Gesichter, als sei gerade ein Atomkraftwerk in der Nachbarschaft explodiert. Der ältere Kollege, der den König spielte, hielt zu mir und sagte ganz trocken, dass er kein Problem mit meinem Verhalten habe, im Gegenteil, er könne das gut verstehen. Ihm gehe das viele
Rumgerede
auch auf den Sack, aber das sei ja nichts Neues. Sein Einwurf war keine Hilfe für mich, im Gegenteil, seine Solidaritätsbekundung ließ den Blutdruck des Prinzen nur noch weiter in die Höhe schnellen. Alle wussten, dass es dem König nicht um mich ging, sondern wie immer und in erster Linie darum, eine andere Meinung zu haben als der Rest der Meute. Nele hingegen hatte mit dieser Attacke nicht gerechnet. Ihre Maske, die sie sich für diesen Morgen aufgelegt hatte, fing an zu bröckeln. Ihre Haut legte sich in Falten. Sie rutsche den Stuhl hinab und lag fast unter dem Tisch. Die Regieassistentin war aufgesprungen und kam gleich mit zwei Tassen zurück. Jetzt habe sie aber Durst, rief Nele in einer Mischung aus Lachen und Aufschrei und kippte den ersten Becher auf ex runter. Der Kollege war fertig mit seiner Anklage. Ich hatte keine Lust, mich zu verteidigen. Ich schwieg. Sollten sich die Kollegen doch um Kopf und Kragen reden. Ich habe nichts zu verlieren, habe ich gedacht. Nelewirkte hilflos. Sie schlug vor, eine Pause zu machen. Das lehnte der Prinz ab. Er bestehe darauf, dass ich mich erkläre. Was soll ich dir erklären, fragte ich ihn. Soll ich dir erklären, wie ich meinen Beruf ausübe? Da gibt es nicht viel zu erklären. Ich bin, wie ich bin. Das ist meine Methode. Das war gelogen, das wusste ich, aber ich wusste auch, dass ihn meine Auskunft noch höher auf die Palme bringen würde. Darum geht es nicht, sagte er, das weißt du ganz genau. Jörg meldete sich zu Wort. Er war aufgeregt, weil er dachte, er habe eine gute Idee, die dazu beitragen könnte, den Streit zu beenden. Wisst ihr was, rief er in die Runde. Das ist doch Wahnsinn, was hier gerade passiert. Wir machen genau das, worum es im Stück geht. Eine verhält sich nicht so, wie es die anderen gewohnt sind, oder wünschen, oder erwarten, Jörg geriet ins Straucheln, weil er merkte, dass ihn alle feindselig ansahen, aber er sprach tapfer weiter: Und schon werden alle nervös und fangen an, auf ihr rumzuhacken. Der Prinz schäumte vor Wut. Willst du mir jetzt etwa vorwerfen, ich wolle die Kollegin rausekeln? Und dann wurde er doppelt theatral: Ich will hier niemanden töten! Mir das vorzuwerfen, das grenzt an Rufmord! Der Prinz fing an, Jörg zu beschimpfen, er habe keine Ahnung, diese
Theoretisiererei
bringe niemanden weiter und überhaupt, er habe die Schnauze voll von dieser Psychoscheiße. Ich war wie gelähmt. Mir kam es plötzlich so sinnlos vor, da mit diesen Leuten zu sitzen und diese Gefechte auszutragen. Als hätte das alles nichts mehr mit mir zu tun. In einem Anfallvon Klarheit er klärte Nele die Probe für beendet. Ich bin ins Schwimmbad. Zum Abreagieren.
Als ich gegen sechs Uhr wieder ins Theater kam, hat mich unser Intendant vor der Maske auf dem Gang abgefangen. Ein älterer, sehr fürsorglicher Mann, der allerdings nicht lange um den heißen Brei herumredet, sondern sofort zur Sache kommt. Nele war heute Nachmittag bei mir, hat er gesagt und mich dabei prüfend angesehen. Ach so, habe ich ihm geantwortet, dann sind Sie ja im Bilde. Sie macht sich Sorgen, hat er ernsthaft erwidert. Um ihre Inszenierung? Nein, um dich. Sie hat mich um Rat gefragt. Sie ist hilflos, sie sagt, du seist überarbeitet. Reizbar. Sie hat großes Verständnis und möchte unbedingt mit dir weiterarbeiten, aber so, sagt sie, mache das keinen Sinn. Ich wurde wütend. Diese blöde Kuh hat einfach alles umgedreht. Diese versoffene Schnepfe, habe ich gedacht, jetzt schiebt sie alles mir in die Schuhe. Die Einzige, die kaputt und leer ist, ist sie selbst, habe ich gedacht. Ich habe kein Wort rausgebracht. Ist schon gut,
Weitere Kostenlose Bücher