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Was wir erben (German Edition)

Was wir erben (German Edition)

Titel: Was wir erben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: BjÖrn Bicker
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Sven aus dem Bett. Ich lag unter meiner Bettdecke und hielt die Luft an. Immer wieder. So oft es ging. Wenn der Atem von innen gegen die Lungenwände drückte, dann verstopften sich auch meine Ohren und ich konnte nichts mehr hören. Wie beim Schwimmen. Irgendwann bin ich eingeschlafen. Am nächsten Nachmittag wurden die Tapetenbahnen gestrichen. Auch davon bekam der Vater nichts mit. Wirdrei fühlten uns gut. Wir gehörten zusammen und hatten ein Geheimnis.
    Der Zug kommt bald in Köln an. Dann umsteigen in den Regionalexpress. Holger meldet sich nicht. Ich schalte mein Telefon aus.
    Die Mutter hat mich mit dem Auto vom Bahnhof abgeholt. Sie war nervös. Als wir vor ihrer Wohnung angekommen sind, schaltete sie den Wagen aus und bat mich, sitzen zu bleiben. Sie müsse mir etwas sagen. Etwas sehr Wichtiges. Sie habe sich am Telefon nicht getraut. Sie sei nicht mehr allein. Da drin, in der Wohnung, sei ein Mann. Ja, das gehe schon länger. Sie sei noch nie so glücklich gewesen. Du kennst den Mann, sagte sie und lächelte verlegen. Es ist der Bestatter.
    Ich weiß nicht mehr, was ich ihr im Auto geantwortet habe. Wir sind wortlos ins Haus gegangen. Ich habe versucht, die erwachsene Tochter zu geben. Der Bestatter stand in braunen Cordhosen und dicken, selbst gestrickten Socken da. Ein Rentner. Ich streckte ihm die Hand entgegen. Er zog mich an sich und nahm mich in den Arm. Er schlug mir mit seiner Rechten auf den Hintern. Damit hättest du wohl nicht gerechnet, triumphierte er. Ich kümmere mich um deine Mutter. Du musst dir keine Sorgen mehr machen. Alles wird gut. Feindliche Übernahme, habe ich gedacht. Wir tranken Kaffee und aßen Kuchen. Der Bestatter redete die ganze Zeit. Wie froh er sei, dass das Bestattungsunternehmen von seinem Sohn,Svens Freund, weitergeführt werde. Dass er das Leben mit der Mutter genieße. Dabei tätschelte er im Gesicht der Mutter herum. Als sie in der Küche war, um neuen Kaffee zu holen, flüsterte er mir verschwörerisch zu. Nur das Rauchen, das störe ihn noch. Aber das kriege er auch noch hin. Als die erste Ladung Pflaumenkuchen verspeist war, sprang er auf und rief: So, raus geht’s, an die frische Luft. Man lebt schließlich nur einmal. Und jeden Tag so, als wär’s der letzte. Er wurde nicht müde, unentwegt Weisheiten aus dem Album des Bestattungswesens von sich zu geben.
    Die Mutter arbeitete jedes zweite Wochenende an der Kasse eines Wild- und Freizeitparks. An den anderen Sonntagen fuhr sie zu Ute ins Pflegeheim. Dort blieb sie den ganzen Tag. Der Vater besuchte seine kranke Tochter höchstens einmal im Monat. Wenn überhaupt. Eines Sonntags verließ der Vater am Morgen das Haus, um in die Kirche zu gehen, und kam den ganzen Tag nicht wieder. Ich saß versteinert in der Küche, zählte die Minuten und starrte durch das Fenster auf die Straße. Ich wusste: Der Fisch im Bauch des Vaters war wieder erwacht. Dieses Tier, das ein paar Jahre in ihm geschlummert hatte, war wieder da und fing an, ihn von innen aufzufressen. Ein durstiger Fisch, der immerzu gefüttert werden wollte. Ein Fisch, der am liebsten in Alkohol schwamm. Und wenn keiner da war, fing er an zu beißen. Der Fisch hatte scharfe Zähne.
    Später legte ich mich mit meinem Bettzeug in denHausflur. Als die Mutter am Abend nach Hause kam, nahm sie mich mit in ihr Bett. Am nächsten Morgen war der Vater schon unterwegs in die Kaserne. Ich ging zur Schule und vergaß. Deshalb liebte ich die Schule. Wegen des Vergessens. Die Sonntage wiederholten sich. Immer, wenn die Mutter arbeitete, verschwand der Vater. Einmal machte ich mich auf, um ihn zu suchen. Ich ging zu der Kneipe, in der ich ihn vermutete. Ich zog mich am Fensterbrett nach oben und konnte ihn sehen. Er stand mit zwei anderen Männern an der Theke. Ich sah eine Weile zu, wie sie gestikulierten und tranken, und dann verließ mich die Kraft. Ich fiel auf die Straße. Dabei brach ich mir den Arm. Ich schleppte mich nach Hause und wartete auf die Mutter. Bis zum Abend. Ich war fast ohnmächtig vor Schmerz. Die Mutter brachte mich ins Krankenhaus. Der Arm wurde eingegipst. Ich durfte wochenlang nicht schwimmen. Ich habe gelogen. Der Unfall sei beim Fahrradfahren passiert. Der Vater sagte später: Das kommt in den besten Familien vor.
    Ich sitze im Handarbeitszimmer der Mutter auf einer Ausziehcouch. Es ist mitten in der Nacht. Ich habe am Abend versucht, Holger anzurufen. Ich habe ihn nicht erreicht. Der Mutter habe ich gesagt, dass ich morgen wieder losmuss.

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