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Was wir erben (German Edition)

Was wir erben (German Edition)

Titel: Was wir erben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: BjÖrn Bicker
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ihn. Aber nicht, weil mir seine Gegenwart fehlen würde. Ich vermisse ihn, weil er weg ist.
    Einmal ist der Vater zusammengeschlagen worden. Er musste mit gebrochener Nase und angeknackstem Jochbein ins Krankenhaus. Ich war fünf oder sechs. Das warin der Zeit, als wir schon in der Eifel wohnten, kurz vor seiner Therapie. Der Vater war kein Schläger, überhaupt war der Vater körperlich nicht besonders tüchtig. Er machte nie Sport, schwitzte bei jeder kleinsten Anstrengung. Später berichtete er seltsam triumphierend von seiner Begegnung mit dem ortsansässigen Masseur, einem riesigen Kerl mit breiten Schultern und einer platten, verwachsenen Boxernase. Mit ihm habe er sich in die Wolle gekriegt. Er habe ihn in ein Gespräch über das Boxen verwickelt. Jeder Boxer leide irgendwann an Hirnschwund. Das Gehirn werde mit fortschreitendem Alter sowieso immer kleiner. Die andauernden Schläge führten am Ende allerdings dazu, dass der Schwachsinn zwangsläufig siege. Dass dieser beim Masseur allerdings schon so weit fortgeschritten gewesen sei, damit habe er nicht rechnen können. Der Masseur wollte sich das ironische Gerede des Vaters nicht länger anhören. Er schlug einfach zu. Direkt auf die Zwölf, wie der Vater später heroisch bemerkte. Nach einer Woche wurde er mit der Anweisung, vierzehn weitere Tage das Bett zu hüten, nach Hause geschickt. Als der Vater seinen Dienst in der Kaserne wieder angetreten hatte, räumte die Mutter sein Zimmer auf. Aus dem Nacht tisch fielen Unmengen von kleinen, braunen Underberg-Flaschen. Mit dem Magenbitter hatte der Vater während der Bettruhe den Alkoholpegel oben gehalten, damit er nicht unter Entzugserscheinungen zu leiden hatte. Die Mutter stand mit einer blauen Kittelschürze in dem Zimmer und fing an zu zittern. Sie nahm die kleinen Fläschchenund warf sie alle einzeln gegen die Wand. Die Flaschen sind erst beim zweiten oder dritten Wurf zerbrochen. Nach einer Weile stand die Mutter inmitten von braunen Glasscherben und schmierigen Underberg-Resten und weinte. Die Wände waren völlig verdreckt von den braunen Likörspritzern. Ich stand im Türrahmen und hatte das ganze Schauspiel mit angesehen. Als die Mutter mich bemerkte, wischte sie sich die Tränen mit ihrem Ärmel aus dem Gesicht und verschmierte dabei ihre Wimperntusche. Sie sah aus wie ein Gespenst. Ich bin barfuß zu ihr hin und habe mir dabei Unmengen von winzigen Glassplittern in die Fußsohlen getreten. Die Mutter musste mich aus dem Zimmer tragen und die Scherben mit der Pinzette in akribischer Kleinarbeit aus meinen Fußsohlen ziehen. Wir saßen im Wohnzimmer auf dem Sofa. Ich streckte der Mutter meine kleinen Füße entgegen. Sie summte ein Lied nach dem anderen. Irgendwann stand sie auf und schaltete den Fernseher ein. Wir schauten zusammen die Wiederholung des Abendprogramms. Als sie fertig war, sollte ich ein paar Schritte gehen, um zu testen, ob es noch weh tat. Alles war wieder in Ordnung. Die Mutter sprang auf und wurde nervös. Wie sollte sie das Zimmer wieder hinkriegen? Plötzlich die Angst vor dem drohenden Ausbruch des Vaters beim Anblick seines verwüsteten Zimmers. Sven kam aus der Schule. Die Mutter schickte ihn los ins Malergeschäft. Er sollte ein paar Rollen Raufasertapete und Kleister besorgen. Quasten und Pinsel waren noch im Haus. Sven hatte die Situation sofortverstanden und rannte los. Als er zurückkam, hatte die Mutter schon Schreibtisch, Regal und Bett in die Mitte des Raumes gehievt und den klapprigen Tapeziertisch aufgestellt. Sie begann damit, die Tapetenrollen aufzureißen, Sven rührte den Kleister an und in null Komma nichts klebte schon die erste Bahn über der verdreckten Wand. Die Zeit wurde knapp. Für gewöhnlich kam der Vater gegen halb fünf nach Hause. Um vier fehlten immer noch ein paar Bahnen. Die beiden steigerten ihr Tempo. Kurz vor halb war alles fertig. Sie trugen den Tisch und das Regal und das Bett zurück an ihren Platz. Es roch nach Kleister. Überall waren feuchte Flecken zu sehen. Das kriegt der gar nicht mit, rief die Mutter und ging mit mir und Sven in die Küche. Wir saßen da und warteten. Aber der Vater kam nicht. Der ist in die Kneipe, sagte Sven, wir hätten uns Zeit lassen können. Sven verschwand. Die Mutter starrte vor sich hin. Ich traute mich nicht, vom Tisch aufzustehen und sie alleine zu lassen.
    Der Vater kam tatsächlich erst in der Nacht. Er hatte zwar nichts mitbekommen von unserer Renovierungsaktion, aber er schrie trotzdem rum. Er zerrte

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