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Was wir erben (German Edition)

Was wir erben (German Edition)

Titel: Was wir erben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: BjÖrn Bicker
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total psycho. Und wo schlafen wir heute Nacht? Na hier, habe ich geantwortet. Ich bin raus auf die Straße. Vor dem Wartburg standen drei Frauen, die mich sofort ansprachen. Sind
die
wieder da? Nein, erklärte ich.
Die
sind
drüben
. Wir kriegen die Öfen nicht an. Eine Sauerei, schimpfte die eine. Dass diesich aus dem Staub gemacht haben, ausgerechnet
die
. Ich hab’s doch immer gesagt, wenn’s ernst wird, sind
die
die Ersten. Ich hatte keine Ahnung, worum es ging. Die Frauen weigerten sich jedenfalls mit reinzukommen, um uns beim Anfeuern zu helfen. Uns blieb nichts anderes übrig, als uns mit den vorhandenen Decken ein Lager für die Nacht einzurichten und darauf zu hoffen, dass wir nicht erfrieren. Als es dunkel war, gingen wir durch die Stadt und aßen in einem Lokal namens Drushba, Freundschaft, wie uns der Kellner immer wieder aufs Neue erklärte. Auf dem Rückweg in unser Eishaus begegnete uns eine Horde junger Leute, die gerade dabei waren, zwei russische Offiziere, die noch nicht in ihrer Kaserne zurückgekehrt waren, zu attackieren. In N. hatten sie eine riesige Militäranlage für die Rote Armee errichtet. Sperrgebiet. Mittlerweile hatten die Zäune Löcher. Mit dem Mut von mindestens vier Bier sprang ich dazwischen und schrie erkennbar westdeutsch: Druschba, Druschba. Die Kerle fingen an zu lachen und ließen von den Russen ab. Wir feierten ein wenig Grenzöffnung und dann zog mich mein Schulfreund ins Quartier. In der Nacht war es so kalt, dass ihm ein Hoden in die Leiste rutschte. Er litt furchtbar und die Panik, seine Männlichkeit einzubüßen, ließ ihn unentwegt durch das eiskalte Haus hüpfen, in der naiven Hoffnung, der Hoden würde sich wieder auf den Weg nach unten machen. Wir suchten einen Arzt auf, der aber auch nichts machen konnte, oder wollte, das war nicht herauszukriegen. Mein Freund reiste noch am selben Tag mit dem Zugzurück nach Hause. Daheim musste er aufwendig operiert werden.
    Ich blieb noch zwei Tage in N. und räumte das Haus auf. Mit Mütze, Handschuhen und Schal bekleidet, habe ich mir Zimmer für Zimmer vorgenommen. Im Kleiderschrank der Eltern habe ich zwei Aktenordner gefunden. Auf denen stand mit krakeliger Schrift:
Adoption
. Die Seiten waren rausgerissen und nicht mehr aufzufinden. Von der Stadt sah ich so gut wie nichts. Am Morgen des dritten Tages war der grüne Wartburg von oben bis unten mit Scheiße eingeschmiert. Auf der bestrichenen Windschutzscheibe klebte ein Zettel: Wir brauchen Euch hier nicht mehr. Ich traute mich nicht mehr raus. Ich musste den Wagen sowieso stehen lassen, weil ich keinen Führerschein hatte. Im Morgengrauen verließ ich das Haus und nahm den ersten Zug Richtung Berlin. Der Onkel wollte mir nicht sagen, was das alles zu bedeuten hatte. Roswitha winkte ab. Dieses missgünstige Pack, sagte sie und verschwand wieder zum Einkaufen. Hans kam später zu mir. Er sah mich streng an mit seinen Vogelaugen. Die Eltern hatten einen Wartburg. Ein eigenes Haus. Kaninchen. Und Zwillinge, die nicht ihre eigenen sind. Weißt du, was das bedeutet? Ja, habe ich gesagt. Warum fragst du dann noch. Lass uns in Ruhe.
    Wo kann man denn hier in N. übernachten, fragte ich die Kellnerin, als sie zum x-ten Mal an meinen Tisch gekommen war, um sich zu erkundigen, ob alles in Ordnung sei.Sie schien von diesem außerplanmäßigen Wunsch nach Auskunft überfordert zu sein. Ihre antrainierte Freundlichkeit fiel schlagartig von ihr ab. Übernachten, keine Ahnung, ranzte sie mich an und war offenbar wieder in dem Modus angekommen, in dem sie sich wohl fühlte. Ihr Körper spannte sich an, sie nahm eine leicht nach hinten gebogene Haltung ein. Sie hatte nicht begriffen, dass ich so etwas wie ein Hotel gemeint haben könnte. Sie konnte meine Frage einen Moment lang nicht einordnen und fühlte sich angegriffen. Was für ein obszöner, arroganter Wunsch. Bin ich von der Fürsorge, funkelte es aus ihren Augen. H-o-t-e-l, P-e-n-s-i-o-n, i-r-g-e-n-d-w-a-s i-n d-e-r A-r-t, sagte ich gaaanz langsam und gaaaanz laut. Da fragen Sie mal lieber den Herrn an der Theke, zischte die kleine Furie mit den zwei Gesichtern und fegte mit ihrem Lappen über den Holztisch. Wie inszeniert stand der Typ vom Tresen auf und kam zu mir. Darf ich mich vorstellen. Hofffmann. Mein Name ist Hofffmann. Sagen Sie einfach Hofffmann zu mir. Wenn Sie etwas brauchen, wenn Sie etwas wissen wollen, kommen Sie zu mir, ich werde Sie nicht enttäuschen. Ein großes Wort, sagte ich und streckte ihm lachend meine

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