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Was wir erben (German Edition)

Was wir erben (German Edition)

Titel: Was wir erben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: BjÖrn Bicker
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einem verschollenen Zwilling. So war das mit Hofffmann. Am Abend stand er in der Hotellobby. Als ich um die Ecke bog und ihn sah, wurde mir warm. Hofffmann führte mich zum Essen aus. Das Restaurant hieß früher Druschba, sagte er auf dem Weg dorthin. Es ist das beste Haus am Platz. Druschba heißt Freundschaft, habe ich gesagt. Ich weiß, antwortete Hofffmann.
    An diesem Abend habe ich Hofffmann alles erzählt.
    Ich habe ihm das Foto vom Vater und Deiner Mutter gezeigt.
    Ich habe ihm den Zeitungsartikel über die Flucht des Vaters zu lesen gegeben.
    Er betrachtete die Fotografie eine Weile und sagte dann: Shane Gould. Die Frau sieht aus wie Shane Gould. Aber Shane Gould war erst sechzehn, als sie in München geschwommen ist. Shane Gould hat fast genauso viele Medaillen geholt wie Mark Spitz. Aber sie kennt niemand mehr. In Australien hat sie ihre Karriere gleich nach den Olympischen Spielen beendet. Mit sechzehn. Eine wunderschönes Mädchen. Dein Vater hatte Geschmack. Der Name aus dem Artikel, sagte Hofffmann, der Name, Marianne Lüders. Hofffmann versprach, mich in den nächsten Tagen zu ihr zu bringen. Sie wird dir weiterhelfen, sagte er. Ich konnte nicht glauben, an wen ich da geraten war.
    Hofffmann erzählte von seiner Lehre als Steinmetz (»In einer anderen, vergessenen Gegend«), von seinen zwei linken Händen und den Büchern, die er las, von seinem Leben ohne Staat, weil er den Staat nicht mochte, in den er geboren worden war, er sprach laut und deutlich, er sprach konzentriert, in seinen Worten lag eine Ernsthaftigkeit, die jedem Satz eine eigene, farbige Würde verlieh. Sein Leben in der DDR. Wie ihn das Theologiestudium nach N. geführt habe, wie er anfing zu fotografieren (»Ich zeige dir mein Archiv des untergegangenen Landes. Teil 1«). Die illegale Druckerei kam vor, die er betriebenhabe, um ein paar Gedanken unters Volk zu bringen. Drei Jahre im Gefängnis. In N. Das sei ihr größter Fehler gewesen, dass sie ihn nicht woanders hingebracht hätten. (»Ich konnte die Vernehmer nicht restlos vom Zauber der Schwarz-Weiß-Fotografie begeistern. Ich muss gestehen: Eine Niederlage.«). Der Gebetskreis, in dem die Idee vom Frieden zirkulierte. Der Bart. Die Genossen, die sich zu erkennen gaben. Später die Akten, in denen ans Herz gewachsene Freunde ihr Leben weiterlebten, ein zweites mal, als Feinde. (»Mein Herz funktioniert wie eine Schleimhaut. Keine Narben. Nichts. Die Erinnerung ist das Tor zur Freiheit.«) Was die Freunde Wende nannten: kein Grund zur Verbitterung. Frieden sei immer noch nicht gewesen, die neuen Häuser, die alten Besitzer, die grauen Fressen der Arbeitslosen, was geblieben sei, für ihn, ein Besitz von unschätzbarem Wert, das Wissen über alle, über jeden in dieser Stadt. Die Furcht der anderen vor seinem tiefen Blick in das Innere der Aktenberge, die befreie ihn und sei sein Freifahrtschein, seine paradoxe Lebensversicherung. Wissen sei Macht geworden über die, die Bescheid wussten.
    Er sprach mit mir, so schien es, als wollte er mir wirklich etwas mitteilen, von dem ich noch nichts wusste. Seine Art zu reden hatte nichts Affektiertes, nichts Gekünsteltes, er beobachtete sich nicht selbst beim Sprechen, er machte keine eingeübten Kunstpausen. Was er erzählte, schien er, so wie er es erzählte, nicht schon einmal erzählt zu haben. Eigentlich war Hofffmann der erste Mensch,den ich kennengelernt habe, bei dem ich nicht das Gefühl hatte, als Spiegel benutzt zu werden. Hofffmann war kein Selbstdarsteller. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so sehr in den Geschichten eines Menschen versunken bin wie an diesem Abend und an allen folgenden Tagen, die ich in N. verbracht habe. Hofffmanns Geschichten nahmen kein Ende. Ich trank viel Wein an diesem Abend, Hofffmann blieb nüchtern. Sein lederner Handrücken streifte meine Fingerspitzen beim Ablegen der Serviette. Filmriss.
    Als ich eben von meinem Streifzug durch Mariahilf zurück in die Pension gekommen bin, klemmte ein cremefarbener Briefumschlag unter meiner Tür. Mein falscher Name in geschwungener Schrift auf dem Papier. Die Handschrift hat Ähnlichkeit mit der Schrift hinten auf dem Foto. Ich habe den Umschlag geöffnet. Ein kleiner Post-it-Zettel klebte auf einer Visitenkarte, die jemand in den Briefumschlag gesteckt hat. Auf dem gelben Merkzettel steht in der gleichen Schrift wie auf dem Umschlag:
Ein vertrauenswürdiger Mensch und guter Arzt. Ich spreche aus Erfahrung.
Die Karte ist von einem Arzt für

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