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Was wir erben (German Edition)

Was wir erben (German Edition)

Titel: Was wir erben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: BjÖrn Bicker
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Touristen. Es gibt sonst nichts.
    Valon hat die ganze Nacht erzählt. Von seiner Familie. Von der Flüchtlingsunterkunft in Deutschland. Von seinen Kumpels. Von seinem Volk, den Roma, von der ewigen Wanderschaft, zu der sie verdammt seien. Er schwärmte von Malcolm X und von Martin Luther King. Er verglich die Roma mit den Indianern Nordamerikas. Er sprach von Kolonisation. Von der Mithilfe der Roma bei der Erschaffung der Welt (»Alle glauben, dass sie beteiligt waren.«). Hofffmann saß die ganze Zeit da und nickte und gab abund zu einen klugen Satz von sich und schien sich ansonsten zu freuen. Ich hörte Valon gebannt zu und merkte nicht, wie es Morgen wurde. Hofffmann stand auf, zerrte RICO an einem goldenen Halsband durch den Flur zur Wohnungstür und besorgte Frühstück. Valon brühte Kaffee auf, band sich die Haare zusammen und streckte mir feierlich die Hand entgegen. Jetzt weißt du Bescheid, sagte er bestens gelaunt.
    Die Morgentoilette hatte RICO an den Rand der Belastbarkeit gebracht. Er lag keuchend im Flur, Hofffmann kippte eine Tüte mit Brötchen in den Korb, der auf dem Tisch stand. Du hast noch eine halbe Stunde Zeit, sagte Hofffmann, dann fahren wir zu Marianne Lüders. Ich war überrascht. Ich hatte den Vater vergessen. Und Deine Mutter.
    Ich lege mich ins Bett, sagte Valon. Als er die Küche verließ, schaute ich ihm nach. Seine kräftigen Füße. Sein federnder Gang. Sein schwarzes Haar. Er ist nicht auf der Flucht, habe ich gedacht. Er ist da, wo er ist. Mir wurde übel. Ich wusste nicht, ob das an dem schwarzen Kaffee lag, den ich auf nüchternen Magen getrunken hatte, oder an Valon, dem ich am liebsten gefolgt wäre. Er kam noch mal zurück in die Küche, um sich ein Glas Wasser zu holen. Er ging dicht an mir vorbei. Ich atmete tief ein.
    Als wir im Taxi saßen, fragte ich Hofffmann, ob er keine Angst habe wegen Valon. Nein, antwortete er, ich habe keine Angst. Und wenn schon, was würde das ändern. Valon braucht eine Bleibe. Und ich finde es empörend,dass Leute wie er aus unserem Land deportiert werden. Alle reden von Krise, aber uns ging es noch nie so gut wie heute. Warum müssen wir die Nachkommen derer, die von unseren Eltern und Großeltern verfolgt und ermordet worden sind, in ein Land schicken, wo sie wieder nur fertiggemacht werden. Das verstehe ich nicht. Also sorge ich dafür, dass es ihm gut geht. Überhaupt: dieses ganze Gefasel von Grenzen und Europa, was soll das denn noch? Letztes Jahr haben sie zwanzig Jahre Mauerfall gefeiert und als Dankeschön wird die Mauer um Europa immer höher gezogen. Ich habe im Knast gesessen, weil mir diese kleine sozialistische Nachkriegswelt mit ihren ganzen Spitzeln auf die Nerven gegangen ist. Ich habe Theologie studiert, weil ich nichts Weltliches mehr lernen durfte (»Wenn es einen Gott gibt, dann fresse ich einen Besen. Halleluja.«), ich besitze ein Taxi, um das Gefühl zu haben, an der Beschleunigung des Lebens mitzuwirken und nicht als schneckenhafter Almosenempfänger in die Annalen dieser Welt einzugehen, ich fahre mit dir zu einer siebenundsiebzigjährigen Rentnerin, um etwas über deinen Vater, den Soldaten der westdeutschen Bundeswehr, herauszufinden, ich tue das, weil ich mich mit mir selbst langweile und angeblich ein Herz für Menschen habe.
    Eben habe ich mein Mobiltelefon eingeschaltet. Zwölf Anrufe in Abwesenheit. Siebenmal Nele. Viermal Holger. Ein mal Unbekannt. Noch bevor ich es ausschalten konnte, hat es wieder geklingelt: Nele zum achten Mal. Ichhabe sie vor lauter Schreck weggedrückt. Jetzt weiß sie, dass ich ihre Anrufe registriert habe. Sicher will sie mit mir reden, bevor die Proben am Montag wieder losgehen. Ich will nicht. Ich habe überhaupt keine Ahnung, was ich da noch soll. Ich habe Holger kurz zurückgerufen. Er wollte mir nur sagen, dass andauernd irgendwelche Leute vom Theater versuchten, mich zu erreichen. Ich melde mich bei denen, habe ich Holger versprochen. Holger denkt, ich sei noch in N. Nach zwei Wochen dort war ich für drei Tage in München. Weil ich ein schlechtes Gewissen hatte. Ich habe Holger erzählt, dass ich langsam, aber sicher der Geschichte des Vaters auf die Spur komme, dass ich zurückmüsse, um noch ein paar Leute zu treffen, die den Vater von früher kannten. Kein Wort von Hofffmann. Keins von Valon. Holger war mit den Gedanken bei seinen Facharztprüfungen. Und ich bei Valon. Was uns nicht davon abgehalten hat, miteinander zu schlafen.
    Hofffmann schlug die Tür des Taxis mit

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