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Was wir erben (German Edition)

Was wir erben (German Edition)

Titel: Was wir erben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: BjÖrn Bicker
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seinen Aufzeichnungen vermerkt. Hofffmann habe wissen wollen, warum er das getan habe. Ob er ihn retten wollte oder vernichten. Oder gefielen ihm einfach seine Bilder nicht? (»Die Kunst macht die Kranken krank.«) Der Mann sei fast blind gewesen, als er bei ihm gewesen sei. (»Der blinde Spitzel ist der echte Seher.«) Er, Hofffmann, habe in den Achtzigerjahren eine Zeit lang diegesamte Stadt abfotografiert. Er habe so eine Ahnung gehabt, vom Untergang. Natürlich hätte man auf den Bildern auch militärische Objekte sehen können. Rote Armee. Volksarmee. Und Friedhöfe. Hofffmann schwärmte von seinen Friedhofsbildern. Nichts mehr da, sagte er irgendwann, kein einziges Bild. Er habe alles verbrannt. Bis auf ein paar. (»Mein Beitrag zur Aussöhnung. Mit dem neuen Land.«). RICO: Racketeer Influenced and Corrupt Organizations Act. Er habe den Hund aus der Vernachlässigung eines Sterbenden gerettet. Vor zehn Jahren. Er sei ihm mit der Zeit ans Herz gewachsen, das Tier könne nichts für sein Rudel. Es habe ein Anrecht auf ein würdiges Leben, genauso wie jedes andere Lebewesen auch.
    Valon sah an diesem Abend müde aus. Die dunklen Ringe um seine Augen machten ihn zu einer düsteren Erscheinung. Seine Stimme hingegen war hell und klar. Unentwegt band er sich die schwarzen Haare im Nacken zu einem Zopf zusammen, um sie dann wieder zu lösen. Er war nervös. Hofffmann hatte Tee gekocht und Valon erzählte von seiner Familie, mit der er dreiundneunzig aus dem Kosovo nach Deutschland geflohen war. Die Schule in Göttingen, die kranke Mutter, der Vater, der versucht habe, zu arbeiten, aber immer wieder seine Jobs verloren habe, weil er zu Hause bleiben musste bei der Mutter, weil sie depressiv war, wegen der Scheiße, die sie als Roma während des Krieges erlebt hätten. Sein Vater sei Polizist gewesen, ein echter jugoslawischer Polizist. Überhaupt Jugoslawien, das sei für die Roma das Goldene Zeitaltergewesen. Niemand habe nach der Ethnie gefragt. Später hätten sie gesagt: Dein Vater war Polizist bei den Serben. Valon machte lange Pausen beim Erzählen, so als hätte er sich erst jeden Satz im Kopf zurechtlegen müssen, um ihn dann möglichst fehlerfrei aussprechen zu können. Vielleicht wollte er auch einfach nur nichts Wichtiges vergessen. Und dann haben sie 2007 den Staat Kosovo gegründet, sagte er. Und jetzt, drei Jahre später, hat die Regierung im Kosovo zu den Deutschen gesagt, okay, wir nehmen alle zurück, die auf dem Gebiet des Kosovo gelebt haben, bevor sie geflohen sind. Valon wurde wütend. Und weißt du, was das bedeutet, hat er mich gefragt, um sich umgehend selbst zu antworten. Die haben meine ganze Familie, Vater, Mutter und meine zwei Schwestern in den Kosovo abgeschoben. Morgens um vier stand die Polizei vor der Tür. Mit Gewehren und schusssicheren Westen und meine Familie hatte eine halbe Stunde Zeit, ein paar Sachen zusammenzupacken. Und dann ging’s ab zum Flughafen. In einer Maschine, die voll besetzt war mit hundertsiebzig anderen Roma, haben sie sie nach Pristina geflogen. Meine Schwestern waren noch nie in ihrem Leben im Kosovo. Die können nicht mal Albanisch. Gar nichts. Die sind hier zur Schule gegangen. Die haben Freunde. Die sind zum Sport. Ganz normales Leben. Und jetzt hängen sie da unten rum und gehen nicht mehr zur Schule. Trauen sich nicht aus dem Haus. Haben kein Geld. Sie wohnen in einer verlassenen Ruine direkt neben einer Müllhalde. Die Mutter kriegt keine Medikamentemehr. Mein Vater dreht bald durch. Und du? Habe ich Valon gefragt. Wie bist du der Polizei entwischt? Ich war unterwegs. Mit ein paar Kumpels. Ein Freund hat mir eine SMS geschickt: Valon, die holen deine Familie. Bring dich in Sicherheit. Und dann bin ich zu einem Pfarrer, der sich manchmal um meine Mutter gekümmert hat. Der hat mich ein paar Tage bei sich wohnen lassen und dann hat er gesagt, ich soll hierherfahren, zu Hofffmann, bei ihm sei ich sicher. Hier vermutete mich niemand.
    Und ich bin immun, rief Hofffmann, der die ganze Zeit über wie ein Klosterschüler mit gefalteten Händen am Tisch gesessen und zugehört hatte. Wegen des Wissens. Alle fragen sich natürlich, was das für ein Typ ist, der da bei mir wohnt. Aber niemand vermutet einen Illegalen. Nicht hier. Die lassen mich einfach in Ruhe. Ich kenne die Polizisten. Ich habe denen gesagt, dass mein Besuch von Neonazis angepöbelt werde, sie sollten mal ein Auge darauf werfen. Diese Schlagzeilen können sie sich hier nicht leisten. Der Dom. Die

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