Was wir Liebe nennen
noch immer auf dem Pferd. Die Aufgabe sei doch trivial, ob sie das bitte zur Kenntnis nehmen wollten. Sie hätten nun einmal ein Pferd zu wenig. Gleichzeitig sei offenbar keinem von ihnen zuzumuten, den anderen bei ihr sitzen zu sehen. Es gebe genau eine Lösung für das Dilemma. Wer sie finde, bekomme einen Kuss.
Knurrend kletterten die beiden Lamberts auf das zweite Pferd. Ob sich in der Art, wie sie in schweigender Ãbereinstimmung auf den ausgelobten Preis verzichteten, eine Verbrüderung andeutete?
Eher nicht. Kaum dass sie losgeritten waren, pikste und knuffte der eine den anderen. Der hinten Sitzende beschwerte sich, der Vordere nehme ihm die Sicht, der Vordere monierte, der Hintermann solle ihn nicht betatschen. AuÃerdem habe er schlechten Atem. Es war ein Elend. Mehrmals musste Fe damit drohen, sie beide an Ort und Stelle auszuwildern. Aber erst als das Pferd zu bocken begann und seine Reiter um ein Haar abgeworfen hätte, stellten sie ihre Kämpfchen ein.
Die kleine Reisegesellschaft erreichte eine LandstraÃe, an der sie entlangritten. Was für ein lächerlicher, trostloser Haufen sie waren. Lambert in seiner übergroÃen Busfahreruniform und den Strandsandalen, sein Lookalike vor ihm hatte den guten Nadelstreifenanzug in einer Weise zuschanden getragen, dass er aussah wie ein Landstreicher, der noch immer vorgab, ehrenwertes Mitglied der Gesellschaft zu sein. Die Einzige, die halbwegs zivil daherkam, war Fe, was aber auch daran liegen mochte, dass sie alleine auf ihrem Pferd saÃ.
Lambert sah ihre Arme, ihren aufrechten Rücken, und wie ihr Po im Takt mit dem Schritt des Pferdes hin und her schaukelte. Dort hinter ihr hätte er sitzen mögen, an sie gelehnt, das Gesicht in ihrem Nacken vergraben. Stattdessen saà er hinter einem dahergelaufenen Idioten.
Lambert fiel ein, dass es noch etwas zu klären gab. Und wirklich hatte er hier ausreichend Empfang, um einen Anruf zu machen. Gerade als das Freizeichen kam, fing der Idiot vorne so laut an zu pfeifen, dass Lambert sein eigenes Wort kaum verstand.
»Sei bitte mal still.«
»Was?«, fragte Kathy.
Der Idiot pfiff unbeirrt weiter. Er hätte in einem Konzertsaal auftreten können, so laut war er.
Aus weiter Ferne hörte Lambert: »Hallo, wer ist denn da bitte?«
»Einen Moment, Kathy. Hier ist Lambert. Sorry, ich meinte nicht dich. Hör doch mal auf!« Er nahm das Telefon zwischen die Zähne und presste dem Idioten seine freie Hand auf den Mund. Dann nahm er das Telefon wieder ans Ohr und ritt freihändig weiter, wobei er mit den Beinen den Leib des Pferdes umklammerte, um nicht hinunterzufallen.
»Und komm bloà nicht auf die Idee, mich zu beiÃen, sonst ziehe ich dich an den Haaren. Kathy, das galt wieder nicht dir. Ich habe hier nur ein kleines Problem.«
Lambert merkte, dass der Idiot den Mund öffnete. Wenn er ihn biss, würde er ihm das Telefon über den Schädel schlagen. Aber er streckte nur seine Zunge heraus und leckte ihm über die Handfläche, was Lambert schlimmer erschien als jeder Biss. Er quiekte auf, dann griff er sich die Lippen des Vordermanns und kniff sie ihm zu.
»Lambert? Was ist los? Wer ist denn bei dir?«
»Das wäre jetzt zu kompliziert. Hör zu, Kathy, ich hatte doch noch was gut bei dir. Könntest du mir einen Gefallen tun?«
»Mit Vergnügen, wenn es dir irgendwie hilft.«
Nachdem Lambert aufgelegt hatte, drehte sich der Idiot um und entschuldigte sich grinsend für sein Pfeifen, er sei nur auf einmal so fröhlich darüber gewesen, an der frischen Luft zu sein.
Lambert antwortete nicht. Zehn Minuten s päter kam Kathys Nachricht mit allem, was er brauchte. Sie hatte im Luftverkehrskontrollzentrum Violas Nachnamen erfragt und anschlieÃend keine Mühe gehabt, ihre Telefonnummer in Chicoutimi herauszufinden.
32
»Wer s pricht?«
»Sascha, bist du das?«
»Ich muss noch einmal fragen, wer s pricht.«
»Entschuldige, ich binâs, Lambert. Wir haben neulich im Flugzeug nebeneinandergesessen. Irland, die Notlandung, erinnerst du dich?«
»Das weiÃe Pferd.«
»Ja, das war ich. Ist deine Mutter auch da?«
»Viola ist leider im Krankenhaus.«
»O Gott. Was ist passiert?«
»Das soll ich nicht sagen.«
»Verstehe. Ich hoffe, es ist nichts Schlimmes.«
»Sie hat mein Geschwisterchen verloren.«
»Ach nein, das tut mir leid.«
»Mir
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