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Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Titel: Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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die Piste reicht ja nun bis hierher.»
    «Hierher? Wo ist hier ’ne Flugpiste?», frage ich entgeistert.
    «Ja, hat Ihnen denn das der alte Milhoff nicht gesagt? Das ist ja wieder typisch Wessi. Der hat’s nämlich auch nicht gewusst |62| damals, als sie ihm die Hütte   … ’tschuldigung: das Haus, angedreht haben.»
    «Moment, Herr Müsebeck, mal langsam. Eine Flugpiste, hier in Amerika?»
    «Ja, gleich dahinten, wo Ihre Wiese aufhört, hinter der Hecke, da beginnt die Piste. Was glauben Sie, was da los war, wenn
     die MiGs mit Nachbrenner übers Dorf gestartet sind. Da haben Sie gedacht, es hebt Sie aus den Latschen. Die Fenster, die haben
     wir allesamt mit Klebeband sichern müssen. Über jede Scheibe ein Kreuz, sonst wär das vom Lärm glatt zerborsten, das Glas!»
    «Das muss ja die Hölle gewesen sein.»
    «Sag ich doch. Und als sich mal einige zusammengetan haben, beim Ortsvorsteher vorsprachen, man möge doch die Russen fragen,
     ob nicht wenigstens sonntags vielleicht auf das Starten mit Nachbrenner verzichtet werden könne, wissen Sie, was der russische
     Major da gemacht hat?»
    Müsebeck sieht uns erwartungsvoll an.
    «Keine Ahnung», «Weiß nicht», sagen wir gleichzeitig.
    «Na, was glauben Sie?»
    Vergessen Sie Günther Jauch mit seinem
Wer wird Millionär
, der große Meister des Spannungsaufbaus ist Müsebeck!
    «Ich will es Ihnen sagen.»
    Pause.
    «Der hat einen Zettel im Aushangkasten vom Konsum angebracht» . (Müsebeck betont das Wort auf dem kurzen o), «und auf dem Zettel stand   …»
    Er fragt gar nicht erst, was wir denn glauben, was da stand. Stattdessen nimmt er in Ruhe einen Schluck Kaffee. Einen langen
     Schluck. Schmeckt dem Aroma nach, blickt über die Tasse in die Weite. Doch statt «Jacobs Krönung ist der Beste» sagt er:
    «Da stand, er wolle auf gar keinen Fall und es sei ihm eine große |63| Sorge, dass die hiesige Bevölkerung unter dem Lärm der glorreichen Roten Armee zu leiden habe. Darum schlage er vor, dass
     diejenigen Genossen und Genossinnen, denen es in Amerika zu laut sei, sich vertrauensvoll an ihn wenden sollen.»
    Müsebeck stellt die Tasse vorsichtig auf das Tischchen und fährt fort.
    «Er verspreche bei seiner Ehre als Soldat, dass er für alle diese leidenden Menschen ein ruhiges Plätzchen finden würde. In
     Sibirien.»
    «Das ist ja hart», entfährt es mir.
    «So war es eben. Die Russen waren nun mal unser Brudervolk. Und Brüder kann man sich ja bekanntlich nicht aussuchen. Im Gegensatz
     zu Freunden.»
    Wir nicken alle drei.
    Ein Leben mit dem täglichen Terror startender Düsenjets, ohnmächtig den wenige Meter über die Dächer donnernden Höllenmaschinen
     ausgeliefert, ich hätte das nicht ertragen. Aber Müsebeck wurde nicht gefragt, ob er es erträgt.
    «Herr Müsebeck, dieser Flughafen ist doch stillgelegt, oder?», fragt Sonja. Verdammt, sie hat recht! Vielleicht sollte ich
     statt Müsebeck lieber uns selbst bedauern.
    «Nee, der ist noch in Betrieb.»
    «Aber   … warum sind dann keine Flugzeuge zu hören?»
    «Dieses Wochenende fliegen die nicht, wegen der Techno-Party.»
    «Techno-Party», echot Sonja.
    «Ja, auf dem Flugplatzgelände. Riesensache. 24   Stunden durch, rund um die Uhr. Fünf- bis zehntausend Leute werden erwartet. Der alte Krüpke hat da einiges Land rückübereignet
     bekommen, was die Russen damals für den Flugplatz enteignet hatten. Krüpke, das ist der mit den Gäulen am Dorfeingang. Die
     Familie hatte vor |64| dem Krieg schöne Ackerflächen. Bewirtschaften kann er die nun aber nicht mehr, und seine Kinder sind zu allem bereit, aber
     nicht dazu, Bauern zu werden. Und nun vermietet er eben ein paar Hektar an die Techno-Leute und fettet damit seine Rente ein
     wenig auf. Das wird hier jetzt öfter mal etwas lauter sein, an den Wochenenden.»
    Mein Puls beschleunigt sich, mir wird flau im Magen. 200   Meter Luftlinie von unserem Hof entfernt beginnt eine Piste, lang genug, dass darauf Jumbojets starten können, ein Flugplatz
     mit Hangars und allem Drum und Dran, der noch in Betrieb ist. Und wenn nicht, dann weil Techno-Partys gefeiert werden. Und
     Milhoff hat natürlich nix gesagt. Na warte, dem will ich einschenken, wenn er den Rest seines Krempels abholt.
    «Aber Sonja, du warst doch mehrmals hier?», frage ich verwirrt. «Da müsstest du doch den Fluglärm mitgekriegt haben?»
    Meine Frau denkt angestrengt nach, überlegt, ob sie vielleicht in einem anderen Amerika war, in einem Paralleluniversum.
    «Das

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