Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht
nichts dagegen haben.» Wir schütteln die Köpfe.
«Sie sind Österreicherin, Frau Moor, Ihr Mann Schweizer. Warum um Gottes willen verlassen Sie ihre wunderschönen Länder und
kommen ausgerechnet hierher? Das geht mir einfach nicht in die Birne.»
Und genau so wirkt er auch. Fassungslos starrt er uns an. Wenn wir ihm erzählt hätten, dass wir gerade einen Lottogewinn nicht
abgeholt oder uns selber einen Arm abgehackt haben – verwunderter hätte er nicht sein können.
Also versuchen wir zu schildern, dass diese Länder nicht nur Urlaubsseiten haben, dass wir die Schweiz empfanden wie eine
fertiggebaute Modelleisenbahn-Anlage, in der alles wunderschön arrangiert und gepützelt aussieht, wo alles seinen festen Platz
hat, jedes Modellhäuschen, jedes Autochen, jedes Bäumchen fixiert, festgeleimt. Sogar der kleine Plaste-Bahnhofsvorsteher
auf seinem Plaste-Perron vor seinem Plaste-Bahnhof für alle Zeiten angeklebt, in einem Modellland Maßstab 1 : 1, umrandet von einer Berglandschafts-Fototapete. Ein Land, in dem man nichts anderes machen |70| kann, als Modellzüglein sinnlos im Kreise fahren zu lassen und zuzusehen, wie das Ganze langsam verstaubt.
Wir erzählen, dass ich ein paar Monate in Berlin zu tun hatte, wie sehr mich die preußische Klarheit der Menschen begeisterte,
ihr Überlebenstalent, wie ich Sonja nach meiner Rückkehr eröffnete: «Wir müssen nach Berlin», und wie sie einfach nur antwortete:
«Wenn wir müssen, dann müssen wir eben nach Berlin.»
Dass es aber auch klar war, dass wir nicht wieder in die Stadt wollten – das Leben als Stadtmenschen hatten wir in Wien und
Zürich bis zum Überdruss ausgekostet. Dass wir außerdem Pferd, Esel, Hunde, Katzen und Enten ja nicht einfach auf dem Berghof
zurücklassen konnten, weshalb außerdem klar war: Wir würden nach Brandenburg ziehen. Wir schildern, wie der Zufall oder eher
das Schicksal es wollte, dass Sonja gleich nach unserer Entscheidung, den Umzug zu wagen, gespenstisch schnell einen interessanten
Job in Berlin angeboten bekam, wie sie dann, von Berlin aus, einen Hof in Brandenburg gesucht und ihn schließlich hier, in
Amerika, gefunden hat.
«Ach, so war das also», macht Müsebeck zufrieden. «Manche im Dorf haben sich nämlich schon gefragt, ob Sie vielleicht Dreck
am Stecken … also ob Sie vielleicht von da wegmussten, unfreiwillig, Sie verstehen schon. Nicht böse sein, aber man weiß ja nichts Genaues
nicht.»
Da muss Sonja lachen: «Aber dann hätten wir doch gut hierhergepasst, zu den anderen Zwangsversetzten, nicht wahr?»
«Da haben Sie auch wieder recht!», gluckst Müsebeck, sein Hütchen wippt auf und ab.
Er lehnt sich auf seinem Stühlchen zurück, der Kunststoff der Schnörkellehne biegt sich beängstigend nach hinten.
«Ja, das liebe Landleben», sagt er, «wenn man da mal Blut geleckt hat … Ist das auch so ein kleines Dorf, wo Sie herkommen?»
|71| «Nein, das war ein alleinstehender Hof hinter einem Weiler. Rundherum nur Wiesen.»
«Und so was lassen Sie einfach sausen …» Er kann es noch immer nicht fassen. «Tja, da werden Sie sich jetzt wieder an Nachbarn gewöhnen müssen. Und an die Straße,
wa?»
Der Mann kann wirklich Gedanken lesen.
«Das wird schon gehen», erwidere ich. «Mit Nachbarn hab ich noch nie Probleme gehabt, und die paar Autos am Tag, die stecke
ich doch locker weg.» Wenn ich mir nur selber glauben könnte!
«Na ja, jetzt ist ja fast gar nichts momentan, ne», meint Müsebeck. «Was dadran liegt, dass die Brücke nach Wickelitz gesperrt
ist, wissen Sie?»
«Ja, ist mir bestens bekannt», knurre ich.
«Wenn die nächste Woche repariert ist, dann wird das wieder deutlich mehr.»
Er registriert unsere alarmierten Blicke und beschwichtigt:
«So viel wie in der Stadt natürlich nicht. Aber ist halt doch ’ne Landstraße, an der Sie da wohnen. Sie sollten sich mal lieber
an Verkehr gewöhnen, weil im Herbst, da kommt es dann ganz dicke. Bis jetzt geht ja der Hauptverkehr vom ganzen Südostgebiet»
– er macht eine ausschweifende Bewegung über den halben Erdenkreis –, «also Schönemark, Molchow, Königshorst, Gnewikow und so weiter, von der ganzen Gegend eben, nach Berlin rein, das geht
alles noch da, hinter dem Wald»– Geste über das Dorf hinweg – «über die L30 und dann in die B152. Aber da ist ein unbewachter Bahnübergang. Und da gab es letztes Jahr zwei schlimme Unfälle. Der Übergang wird jetzt
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