Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Titel: Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
Vom Netzwerk:
Autobahnfahrt? Also, ich finde es irgendwie unpassend, so einem
     gestandenen Bauern Kekse anzubieten, aber gut, Frauen haben eben für so was kein Gespür.
    «Und Sie, Herr Müsebeck, Sie sind also der Bauer hier in Amerika!», lacht ihn Sonja an. Na, also das hätte ich auch noch hingekriegt,
     denke ich, wenn auch vielleicht ein bisschen weniger charmant.
    «Jo», sagt Müsebeck und greift sich einen Keks. Woher wusste meine Frau, dass er Kekse
mag
?
    «Sind Sie denn hier in Amerika geboren?», fragt Sonja und sieht ihn mit offener Neugierde an.
    Und jetzt, ich weiß nicht, wie sie es immer wieder schafft, jetzt beginnt Herr Müsebeck zu erzählen, frei von der Leber weg.
     Seine Eltern sind hergezogen, noch unter «den Russen», wie er sagt. Da war Müsebeck gerade zwanzig und hatte sein Diplom als
     Agraringenieur frisch in der Tasche. Damals war Amerika noch so eine Art Strafkolonie. Die alten Müsebecks galten da, wo sie
     herkamen, als aufmüpfig, weil sie sich, nachdem sie enteignet worden waren, nicht so einfach in die LPG, die Landwirtschaftliche
     Produktionsgenossenschaft, integrieren konnten.
    |60| «Ist ja auch zum Kotzen, wenn auf dem eigenen Land, das du kennst wie deine Westentasche – jede Krume, jeden Schlag, jeden
     Strauch   –, wenn da plötzlich so ein Sesselpupser ansagt, wo’s langgeht.»
    Die Eltern hätten ja bloß gewollt, dass das Land nicht vor die Hunde ging. Und da waren sie eben nicht immer einverstanden
     mit den Anweisungen der Herren Agrarsekretäre. Tja, und Anfang der Achtziger hieß es dann: «Ihr unterhöhlt den Gemeinschaftsgeist,
     solche zersetzenden Elemente können wir hier nicht brauchen.» Man bot ihnen weit weg einen Platz an: in der LPG Amerika. Und
     wenn sie den nicht angenommen hätten: Bei der Reichsbahn brauche es immer Leute im Geleisebau, ließ man sie wissen. Natürlich
     nahmen sie lieber die Stelle in Amerika. Die LPG hier sei ja dann gar nicht so schlecht gewesen. Da waren die meisten ein
     wenig aufmüpfiger als anderswo. Waren ja viele da, die, ebenso wie sie, sozusagen hierher zwangsrekrutiert worden waren, weil
     sie den Bonzen ein Dorn im Auge gewesen waren.
    «Ja, und denn, denn kam die Wende, und die LPG wurde dichtgemacht. Anfangs dachten wir, wir – also wir, die wir hier gearbeitet
     haben – könnten den Laden übernehmen und einfach auf eigene Rechnung weitermachen. Aber   …»
    «Aber?»
    «Die anderen haben sich nicht getraut. Haben wohl das Risiko gefürchtet. Oder die Arbeit, oder beides, was weiß denn ich.
     Die wollten einfach nicht.»
    «Und dann?»
    «Haben wir Familienrat gehalten. Und denn haben wir es eben alleine übernommen.»
    «Hut ab!»
    «War schwer, am Anfang. Sehr schwer. Aber es ging. Und es geht noch immer. Mehr schlecht als recht, aber es geht!»
    |61| Mein Respekt vor diesem Mann steigt schlagartig. Da hab ich also nun einen dieser «Ossis» vor mir, vor denen wir so gewarnt
     worden waren. Die keine Eigenverantwortung übernehmen wollen, die nicht auf die neue Zeit reagieren können, die lieber jammern
     und nach Papa Staat schreien. Ein größerer Gegensatz zwischen diesem Image und der real existierenden Wirklichkeit lässt sich
     kaum vorstellen! Ich kenne jedenfalls keinen Schweizer oder «Wessi», der eine solche Herausforderung, wie sie dieser Müsebeck
     zu bewältigen hatte, angenommen hätte. Vom Angestellten zum Unternehmer in null Sekunden. Vom subventionierten Staatsbetrieb
     in die für ihn völlig unbekannte «freie Wirtschaft». Von der Geborgenheit des Kollektivs in das harte Auf-sich-allein-gestellt-Sein.
     Und es dann tatsächlich auch noch durchhalten. Es wirklich schaffen. Das soll mal einer von diesen arroganten Ossi-Spöttern
     nachmachen! Dieser drahtige Mann hier mit seinem grauen Arbeitskittel weiß, was Existenzangst ist, weiß, was Ohnmacht und
     Verzweiflung sind, kennt die Härten des Lebens. Weiß aber auch, dass er es überstanden hat, kennt seine Fähigkeiten und seine
     Kraft durchzuhalten. Das also macht Müsebeck wohl so sicher und ruhig.
    «Erklären Sie mir doch», bitte ich ihn, «warum denn diese Straf-LPG ausgerechnet in Amerika angesiedelt war. Ist doch eigentlich
     schön hier und gut zu leben. Oder war es wegen des Namens?»
    «Nee, der Name spielt da nicht mit. Aber was glauben Sie, was da los war mit dem Flughafen!»
    «Dem Flughafen?»
    «Na, dem Flughafen in Schmachthagen. Die haben ja verlängert auf dreieinhalb Kilometer, die Russen, genau in Richtung Amerika,
    

Weitere Kostenlose Bücher