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Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Titel: Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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Filzvariante.
    Gott sei Dank, Müsebeck kommt nicht in Besuchsschale. Keine Samtweste mit Uhrkette über der Hischlederhose, sondern: dunkelgrüne
     Cordhose, kariertes Hemd, feste Schuhe. Über allem der graue Arbeitskittel. Seine ganze Erscheinung signalisiert: Für einen |57| ehrlichen und fleißigen Mann gibt es keine Fünftagewoche, der arbeitet auch samstags. Und wenn es sein muss, den Sonntag noch
     dazu. Und mich erwischt er beim Käffchen unterm Kirschbaum. Barfuß.
    Die unbekümmert leichte Herzlichkeit, mit der meine Sonja wildfremde Menschen begrüßt – ich bin immer wieder begeistert. Strahlend
     geht sie Herrn Müsebeck entgegen, heißt ihn willkommen, stellt sich vor, macht mich mit ihm bekannt. «Nehmen Sie doch einen
     Kaffee mit uns, wir haben gerade welchen gemacht.»
    «Nein, nein, nicht nötig, Frau Moor, machen Sie nur keine Umstände, wirklich nicht», hätte er jetzt in der Schweiz sagen müssen.
     Worauf Sonja hätte sagen müssen, dass es
überhaupt
keine Umstände mache, worauf er sich hätte überreden lassen müssen, worauf sie hätte fragen müssen, ob er vielleicht lieber
     etwas
anderes
hätte, worauf er hätte sagen müssen,
nein,
Kaffee sei wirklich das
Einzige
, was er haben wolle, aber
nur,
wenn sie
wirklich
gerade
sowieso
einen gemacht hätte, worauf sie ihm hätte
versichern
müssen, sie habe
wirklich
sowieso gerade eben   … und so weiter. Nach einer Viertelstunde wäre die Kaffeefrage geregelt gewesen.
    Müsebeck sagt «Jo» und setzt sich.
    «Wie nehmen Sie ihn, mit Milch, mit Zucker, mit beidem?»
    «Mit Tasse.»
    Verwirrt schauen Sonja und ich uns an.
    «Schwarz mit nix, bitte», ergänzt er.
    Sonja entschwindet Richtung Haus, und der Herr vom Hof bleibt mit dem Herrn vom anderen Hof allein.
    Müsebeck sitzt einfach nur ruhig da. Er macht keinerlei Anstalten, das Gespräch zu eröffnen. Und mir fallen nur doofe Anfänge
     ein à la «Soso, Sie sind also der Bauer von Amerika» oder «Ja, ja, schon wieder Samstag». Also schweige lieber auch ich.
    Und merke: Es muss nicht immer was gesagt werden. Müsebeck |58| und ich lernen uns ohne Worte kennen, prüfen einander stumm. Ein Abtasten aus den Augenwinkeln. Er fühlt sich offenbar wohl
     und sicher in seiner Haut. Ich tue so, als würde ich mich wohl und sicher fühlen in der meinen. Unsere Blicke treffen sich.
     Ich versuche es mit einem kleinen Lächeln. Sein angedeutetes Dauergrinsen verbreitert sich keinen Deut. Wie alle Süchtigen
     fliehe ich in die Ersatzhandlung.
    «Zigarette?» Ich halte ihm die Packung hin.
    «Was sind denn das für welche?», fragt Müsebeck.
    Natürlich spricht er Brandenburger Dialekt, aber wenn ich versuchen würde, diesen Lokalkolorit hier lautmalerisch wiederzugeben,
     so ungefähr wie «Wat sin’n det füa welsche?» – das wäre nur peinlich. Also werde ich in diesem Buch die Menschen mit wenigen
     Ausnahmen in Schriftdeutsch zitieren, und Sie, geschätzte Leserschaft, werden sich «det Bran’nbuagische» einfach dazudenken
     müssen.
    «Och, die rauch ich in der Schweiz, sind ziemlich stark.» Ich bin zufrieden mit mir: In einem Satz signalisiere ich, dass
     ich in mehreren Ländern parallel rauche und dass ich als Nichtweichei starken Tobak vertrage.
    Müsebeck schaut interessiert auf die über dem Tisch schwebende Packung, sein Blick gleitet über meinen Unterarm, den ich schon
     als Jugendlicher peinlich dünn und unmännlich gefunden habe und der seither – im Gegensatz zu anderen Körperstellen – nicht
     umfangreicher geworden ist. Seine Augen wandern langsam nach oben, bis er mir wieder ins Gesicht sieht.
    «Hab ich aufgegeben», tut er kund.
    «Ach wirklich?   … Gut!»
    Mein Gott, so kann es doch nicht weitergehen. Ich lasse meinen Blick fachmännisch, wie das, so vermute ich, ein Hofherr eben
     so macht, über
mein
Land schweifen.
    |59| «Steht schön, das Gras», behaupte ich.
    «Wächst nicht. Viel zu trocken.»
    «Ja, hab ich gesehen. Und kein Regen in Sicht?» Na, geht doch! Wetter, das zuverlässige Thema in allen Lebenslagen.
    «Nee, die nächsten zehn Tage nicht.»
    «Ich hörte, der trockenste Sommer seit Messungsbeginn?»
    «Jo.»
    Okay, somit hätten wir dann das mit dem Wetter auch glücklich besprochen. Sehr gut. «Ich schau mal nach, wo der Kaffee bleibt»,
     will ich mich schon verdrücken, da sehe ich einen Erlöserengel in Gestalt meiner Frau samt Tablett aus dem Haus kommen. Wo
     hat sie bloß diese Kekse her? Ist das der Restproviant meiner

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