Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht
Techno-Party im Garten hätten.»
«Und heute haben wir …»
«… Westwind», ergänzt Müsebeck und beißt in den Keks.
Ich werde schlagartig sehr, sehr müde. Letzte Nacht kaum |67| geschlafen, und diese Nacht wird sich das Sandmänchen wahrscheinlich mit Ohrenschutz ins Erzgebirge verkriechen.
«Und das geht 24 Stunden durch, sagten Sie?»
«So über den Daumen. Kann auch länger dauern, wenn der Bär tanzt. Waren schon mal 48 Stunden.»
In der Genfer Konvention über die Behandlung von Kriegsgefangenen steht ganz klar, dass Schlafentzug durch permanenten Lärm
Folter ist. Und daher verboten. Nun muss ich also, wenn ich jemals wieder schlafen will, Söldner werden, in den Krieg ziehen,
mich gefangen nehmen lassen und hoffen, dass die Genfer Konvention greift. Das ist die einzige mir verbliebene Chance auf
Nachtruhe.
Oder: Wir werden unser Bett mit Blick auf das vermeintlich ruhige Feld wieder abprotzen und uns doch in einem Zimmer zur Straße
einrichten müssen. Vielleicht ist das, was Techno-Freaks Musik nennen, aus dieser Richtung weniger penetrant zu hören. Jetzt
verstehe ich, warum die Milhoffs ihr Schlafzimmer zum Dorf hin hatten. Und vielleicht ist der Fußballclub von der Feier letzte
Nacht noch so bedient, dass das Programm nicht prolongiert wird. Und vielleicht geht mein sensibler Schweizer Voralpen-Alarm
wegen der geschlossenen Dreifachverglasung nicht bei
jedem
Autoreifenknirschen los. Man muss jetzt positiv denken …
«Na, nun erzählen Sie doch mal von sich!», fordert Müsebeck. Aufmunternd ruckt er mit dem Kinn Richtung Sonja. «Sie sind Schweizerin,
hör ich?»
«Hat das Herr Milhoff gesagt? Nein, ich bin Österreicherin, mein Mann ist Schweizer.»
«Kenn ich! Österreich!», ruft er begeistert aus. «Waren wir im Urlaub, 93. Das war vielleicht dufte, also diese Wiesen, diese Berge und die Seen erst! Wir waren im Salzkammergut, zwei Wochen. Wunderschönes
Land, Ihr Österreich. Also, wenn ich könnte, ich |68| würde sofort da leben wollen! Die Schweiz soll ja auch phantastisch sein, Herr Moor?»
«Landschaftlich schon», sage ich knapp. Müsebeck schaut mich aufmerksam an. In seinem Kopf arbeitet etwas, das ist ihm deutlich
anzumerken.
«Mann, wie die Zeit vergeht! Ist ja auch schon wieder zehn Jahre her, seit diesem Urlaub», nimmt er den Faden wieder auf.
«Tja, wenn man erst mal einen Hof hat, ist Feierabend mit Urlaub.» Abschätzender Blick zu mir. «Jetzt geht das bei mir ja
gar nicht mehr, in den Urlaub fahren und so. Mein Vater ist nicht mehr der Jüngste, und einer muss schließlich nach dem Hof
gucken, nicht wahr, Herr Moor?»
«Ach, meine Frau und ich sind beruflich so viel gereist, wir haben gar kein Bedürfnis mehr, die Koffer auch in der Freizeit
zu packen.»
«Was machen Sie denn beruflich, wenn man fragen darf?»
Ich habe keine Lust, mich jetzt als Fernseh-Heini zu outen. In der Schweiz, wo ich mit meiner Late-Night-Show täglich auf
dem Sender gewesen bin, war ich bekannt wie ein bunter Hund. Das machte es sehr schwer, Menschen «normal» zu begegnen. Das
gegenseitige neutrale Abschätzen, wie es üblicherweise stattfindet, wenn man sich kennenlernt, war gar nicht mehr möglich.
Diese berühmte erste Sekunde, die über Sympathie oder Antipathie entscheidet, gab es nicht, weil die ja vermeintlich schon
via Bildschirm stattgefunden hatte. Aber eben nur einseitig. Es dauerte oft sehr lange, bis dieses virtuelle Fernsehbild-Bild
ersetzt werden konnte durch den eigentlichen, wirklich erlebten Eindruck. Ein Preis, den man als «Promi» einfach zu bezahlen
hat.
Doch in Deutschland bin ich schon einige Jahre vom Bildschirm weg, Schweizerisches Fernsehen ist hier nicht zu empfangen.
Ich habe also die Chance, als Unbekannter, als irgendeiner, meinetwegen |69| als Schweizer Alien wahrgenommen zu werden und nicht als wandelndes Medien-Image. Hier will ich erst mal nichts sein außer
ich selbst.
«Och», weiche ich daher Müsebecks Frage nach meinem Beruf aus, «meine Frau und ich arbeiten freischaffend in den Medien. Manchmal
mehr frei als schaffend», scherze ich.
«Aha, in den Medien also.» Müsebeck gibt sich zufrieden. Ich bin dankbar, dass er nicht nachhakt. Er scheint eine ganz andere
Spur zu verfolgen.
«Sind Sie denn jetzt aus Österreich hergekommen?»
«Nein», sagt Sonja, «wir hatten einen kleinen Hof in den Schweizer Voralpen.»
«Dann will ich Sie mal was Persönliches fragen, wenn Sie
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