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Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Titel: Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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spannenden Kontrast und fachsimpelten, wie viel Können, Erfahrung und Liebe notwendig seien,
     so verschiedene Ebenen der Schönheit sich entfalten und sich gegenseitig verstärken zu lassen.
    «Hier muss jemand ganz Spezielles wohnen», sagte Sonja und lächelte. «Würde ich gern kennenlernen.»
    «Zum Kennenlernen sagt man bei uns erst mal guten Tag, junge Frau», tönte es aus dem Garten, und eine Gestalt trat seitlich
     von uns hinter einem Rosengestrüpp hervor, das den Zaun mannshoch überwucherte.
    Sie trug feste Schnürschuhe, einen Rock aus erdfarbenem grobem Stoff und ein buntgemustertes Männerhemd, die Ärmel bis über
     die Ellbogen hochgekrempelt. Unmengen von Haar, mehr oder weniger erfolglos mit einem schwarzen Band im Nacken |131| zusammengerafft, umfluteten ihr Gesicht. Eine Hand hielt den Stiel einer Gartenharke, mit der anderen wischte sie sich eine
     graue, mit Rostrot durchsetzte Strähne von der schweißglänzenden Stirn. Ihr Gesicht war über und über bedeckt mit Sommersprossen.
     Die von tiefen Lachfalten umrahmten Augen funkelten ihr Grün zu uns herüber.
    «Da haben Sie recht, guten Tag!», antwortete Sonja lachend. «Wir haben Sie hinter Ihrem schönen Rosenbusch gar nicht gesehen.»
    «Is ja gut, Sie sind sicher die Neuen, nicht? Ich bin Schwester Alma.»
    Sind Sie schon mal einem Prominenten begegnet? Einem Menschen, der davon ausgeht, dass Sie ihn sicher kennen, weil er so berühmt
     ist? Diese Leute stellen sich ja auch gerne höflich vor – «Guten Tag, ich bin George Clooney»   –, aber sie betonen dabei ihren Namen, als ob es eine überflüssige Floskel sei, wie der Papst im vollen Ornat sagen würde:
     «Ich bin der Papst.» Mit genau dieser Betonung sagte sie: «Ich bin Schwester Alma.»
    Und ich tapste voll in den Fettnapf, wie es mir so oft bei Promis geschieht, die ich dann eben peinlicherweise doch nicht
     kenne. Der Tonfall der Frau signalisierte mir zwar, dass sie eine amerikanische Institution sein musste, aber natürlich hatte
     ich keinen Schimmer, welche. Ich konnte nur raten: Das heimelige Haus, der schöne Garten, ihre selbstsichere, gradlinige Art,
     die Ermahnung, die ihren Auftritt hinter dem Rosenbusch hervor begleitet hatte, ausgerechnet ein Rosenbusch   … all das würde einen Schweizer Dorfpfarrer wohl zieren.
    «Guten Tag, Schwester Alma», machte ich artig, «es freut mich, die Seelsorgerin von Amerika kennenzulernen.»
    Schwester Alma schaute mich kurz irritiert an und brach in Lachen aus: «Nee, nee, was denken Sie sich denn! Seelsorgerin,
     da komm ich ja ins Kichern. ’ne Seele hab ich zwar und Sorgen auch, |132| aber mit dem bärtigen alten Mann da oben will ich nichts zu schaffen haben. Schon eher mit den kleinen Engeln, von denen sich
     so manch einer später in einen großen Satan verwandelt.» Sie schaute uns verschmitzt an.
    Engel, die sich in Satan verwandeln, dachte ich, Schwester Alma   … war Alma nicht so eine antike Römergöttin, die Urmutter, die Nährende, die Lebensspenderin? Die «Alma Mater» der Universitäten,
     die Wissensdrüse   … sie wird doch kein Freak sein? Eine Berliner Eso-Tante, die sich selber «Alma» getauft hat, «Urmutter» von eigenen Gnaden,
     eine Sektenführerin, die immer zu Vollmond im Garten ihre Jünger um sich schart und ihnen mit ihrem heiligen Wedel linksgerührtes
     Wasser aus ihrer Regentonne über und über auf die Gewänder spritzt – nach dem Fruchtbarkeitstanz und vor der mysteriösen Rückverwandlung
     von Satan in Kompaktengel.
    «Na, da grübeln Sie jetzt, was ich wohl für eine Schwester bin, wie?» Sie trat näher an den Zaun und reichte Sonja die Hand
     zum Gruß.
    «Krankenschwester, natürlich», erwiderte Sonja und ergriff die dargebotene Hand. Dann war ich dran. Ein guter, fester Händedruck,
     ein Händedruck, wie ihn jeder Politiker gern hätte: vertrauenerweckend.
    «Sag ich’s doch, Frauen sind einfach pfiffiger», rief Schwester Alma mit Seitenblick zu mir. «Wollen Sie ein Glas Eistee?
     Dann hereinspaziert, nehmen Sie Ihre Hunde ruhig mit, da freut sich Sally.»
    Und ehe wirs uns versahen, saßen wir bei Schwester Alma im Garten vor einem riesigen Krug selbstangesetzten kalten Holunderblütentees.
     Sally entpuppte sich als Schwester Almas Hund, ein charmantes, rotfelliges Temperamentsbündel. Sally wirbelte um die eigene
     Achse, sprang in die Luft, landete, duckte sich unvermittelt mit ihrem Vorderteil ins Gras, die Hüfte hochgereckt, die |133| Fuchsrute heftig hin-

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