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Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Titel: Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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     denen sei er so aufgeblüht, dass er rückwärts gealtert sei. Und am Ende habe er um etliche Jahre jünger gewirkt, als er eigentlich
     auf dem Buckel hatte. Selbst der Sensenmann sei ihm wohlgesinnt gewesen, ihrem Hans. Ohne jede Vorankündigung habe er ihn
     im Schlaf ins Jenseits herübergezogen. Hirnschlag.
    Schwester Alma schilderte, wie überrascht sie war, als man ein Testament fand, in welchem Hans ihr den Hof vermachte, in Ermangelung
     von Nachkommen. Und dann habe sie eben getan, wogegen sie sich die vielen Jahre gesträubt hatte: Sie sei bei Hans eingezogen,
     nun doch noch. Und jetzt sei sie hier. Mit Sally.
    |139| «Erstaunlich», raunte mir mein kleiner Schweizer zu, «dieser Hans, oder, der ist ja fast aus dem gleichen Holz geschnitzt
     wie unser Wilhelm Tell. Eine Art Freiheitsheld, oder!»
    «Fast», dachte ich, «
fast
aus dem gleichen Holz. Anders als Tell hätte sich Schwester Almas Hans Gesslers Befehl widersetzt, auf seinen eigenen Sohn
     zu schießen!»

|140| Freie Aussicht
    Warum lieben alle deutschsprachigen Europäer die deutsche Tanne? Wegen des Weihnachtslieds mit dem sensationellen Vers «Du
     grünst so grün?». Wegen Grimms Märchen, in denen der «dunkle, dunkle Tannenwald» immer irgendwelches lichtscheue Gesindel
     beherbergt? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass praktisch sämtliche Gärten und Gärtchen Mitteleuropas mit Tannen zugestellt
     sind. Kaum darf der Germane ein Stückchen Land sein Eigen nennen, und sei es noch so klein: Tanne drauf. Markieren. Mit einer
     Tanne. Oder besser einem Tannenwald aus drei Tannen   – Nordmanntanne, Rottanne, Weißtanne. Der Schweizer Germane verstärkt die dominante optische Wirkung der Tanne gerne zusätzlich
     mit einem Fahnenmast aus Tannenholz und wehendem Schweizer Kreuz.
    Tannen sind das reine Unkraut. Man pflanzt ein harmloses kleines Tannilein, damit sich die Gartenzwerge wo unterstellen können,
     und ehe man sichs versieht, schwups, nadelt ein 10   Meter hohes Monster die Dachrinne zu, vernichtet mit seinem sauren Abwurf jede andere Pflanze, verstellt die Aussicht, verdunkelt
     den Himmel. |141| Und das auch im Winter, im Gegensatz zu den anständigen Bäumen, die ihr Laub netterweise im Herbst abwerfen, damit das spärliche
     Wintersonnenlicht eine Chance auf Bodenkontakt hat. Muss ich noch erwähnen, dass ich kein Tannenfreund bin?
    Die Weißtanne hinter unserem Haus, die jemand leichtsinnigerweise in wenigen Metern Abstand direkt vor die zum Garten führende
     Tür gesetzt hatte, nadelte, verdunkelte, versperrte und versäuerte nach Herzenslust. Ich wollte sie weghaben, Sonja wollte
     sie behalten. Ich argumentierte, ich bettelte, ich stöhnte, ich heulte. Sonja blieb stur. «Du wirst hier nicht einfach herkommen
     und diesen Baum» – sie nannte die Tanne tatsächlich Baum – «…   und diesen Baum, der da schon länger steht, als du überhaupt schnaufst, einfach wegradieren, bloß weil er ein wenig Schatten
     macht. Wenn du keinen Schatten magst, wir haben genug freies Land!»
    Ich versuchte es mit schrittweiser, oder sagen wir schnittweiser Überzeugungstaktik. Zuerst sägte ich die Äste in Kniehöhe
     ab. Wow, jetzt konnte man den Boden sehen. Sonja nahm es hin. Einige Tage später sägte ich alle Äste in Bauchnabelhöhe weg.
     Ich ließ Sonja Zeit, sich an die neue, luftigere Optik zu gewöhnen, dann sägte ich in Brusthöhe. Als ich schließlich die Säge
     über Kopf ansetzen wollte, damit man wenigstens unter der blöden Tanne durchgehen konnte, statt sie immer weiträumig umschiffen
     zu müssen, schritt Sonja ein. «Nicht weiter rauf abasten, Dieter, wie sieht denn das aus?»
    «Na, wie ein Tannenstamm mit drannen Tannenästen. Weiter oben hat’s ja noch 15   Meter hoch Nadelspender», gab ich zurück. «Wie eine Tanne, unter der man durchgehen kann, so sieht das aus.»
    «Dieter, ich bitte dich, diese Tanne jetzt in Ruhe zu lassen.»
    «Na gut», sagte ich und beschloss, das Nadelmonster hinter Sonjas Rücken zu meucheln.
    |142| Die Gelegenheit ließ nicht lange auf sich warten. Schon am nächsten Tag fuhr Sonja nach Schmachthagen, Großeinkauf machen
     und beim Gemeindehaus vorbeischauen wegen der Anmeldung der Landwirtschaft. Sie würde mindestens vier Stunden weg sein, lange
     genug, damit ich meinen teuflischen Plan in die Tat umsetzen konnte.
    Als ich die Kettensäge in den Händen hatte, wurde mir doch leicht mulmig. Wenn das Monster nicht so fiel, wie ich wollte,
     wenn es gegen das Haus

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