Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht
könnte
niemals sein», ruft der kleine Schweizer entsetzt. Ich nicke demütig.
Auf dem Weg zu unserem Haus kommt mir ein Gedanke: Vielleicht hat Frau Widdel nicht nur «doch noch Träume», vielleicht lebt
sie sie auch … Ich bleibe auf Höhe des Hengstes stehen und blicke zurück zum Laden. Frau Widdel räumt die Bierflaschen rein.
|128| Gartenzauber
Sonja hat es in der Rekordzeit von zwei Monaten geschafft, die Krücken loszuwerden. Sie machte ihren Film fertig, und ich
jettete wöchentlich Berlin – Wien – Berlin. Die Tage, an denen wir beide nicht am Hof waren, konnten mit tatkräftiger Unterstützung unserer beiden Mütter und
verschiedener Freundinnen und Freunde überbrückt werden. Es war ein Kommen und Gehen von Menschen aus Wien und aus der Schweiz,
die Amerikaner werden sich gefragt haben, wer nun dazugehört und wer nicht. Die Hunde wussten schon nicht mehr, wer nun Herrchen
und Frauchen sind, begannen, orientierungslos zu werden. Die Katzen, Gewohnheitstiere par excellence, mochten die Unruhe auch
nicht. Zwei sind sang- und klanglos ausgezogen. Die eine fand ein neues Zuhause in einem Hangar hinten am Flughafen, die andere
schloss sich einer Wildkatzenkolonie in der Nähe an. Beide habe ich nach langem Suchen gefunden und zum Hof zurückgebracht,
beide sind umgehend wieder in ihre selbstgewählten Reviere abgehauen.
In dieser unruhigen Zeit hatten wir kaum Gelegenheit, Dorf und Menschen kennenzulernen, wussten nach Wochen immer noch |129| nicht so richtig, wo wir eigentlich waren. Einzig Bauer Müsebeck hatte ich ein paarmal getroffen. Er war es, der wie vereinbart
für uns das Heu von unserem Land erntete und es auf den Boden über dem Stall einbrachte.
Schließlich hatte Sonja ihren Job gut hinter sich gebracht, und so etwas wie ein gleichmäßiger Tagesablauf kehrte ein auf
dem Hof. Ich war sehr froh, dass diese Phase des Durcheinanders nun zu Ende war.
Sonja traf die Entscheidung, das Film- und T V-Geschäft sich selbst zu überlassen und sich ganz auf den Hof und seine Weiterentwicklung zu konzentrieren. Sie würde sich zum Schulbankdrücken
in der Bauernschule anmelden und die Ausbildung zur Diplomlandwirtin angehen. Der grobe Plan war einfach und klar: Sie treibt
als Fachfrau den Hof voran, ich schaffe in der Medienwelt das Investitionskapital ran.
Es war einer unserer ersten gemeinsamen Hundespaziergänge durch Amerika, der uns die Gelegenheit brachte, nach Bauer Müsebeck
einen weiteren Amerikaner näher kennenzulernen, genauer: eine Amerikanerin.
Hinter der Pfuhle, am uns entgegengesetzten Ende von Amerika, an dem unbefestigten Weg, der in den Schlosspark mündet, liegt
ein kleiner ehemaliger Hof. Ein altes Haus, das den DD R-Allzweckgrobverputz und den krankehundekackfarbenen Einheitsanstrich nicht hat an sich rankommen lassen – wie auch immer das möglich gewesen
ist. Blumen und kleine Büsche ranken sich an seinen Mauern hoch, die Dachrinnen münden in große Regentonnen. Zwei bescheidene
Nebengebäude, ein Scheunchen und ein Stall, in den gerade vier Kühe gepasst hätten, komplettieren das Ensemble.
Die Hofstelle beherbergt einen Garten wie aus dem Bilderbuch. Gemüsebeete, Blumen, dazwischen einige Flecken Rasen, eine Holzbank,
Flieder und Holunder und verstreut eine Handvoll |130| Obstbäume. Schubkarre, Gartenschlauch, Gießkannen, ein kleiner Geräteschuppen zeugen davon, dass jemand in diesem Garten tagtäglich
einige Stunden arbeitet, ihn pflegt und gedeihen lässt. Die schmalen, ungekiesten Weglein zwischen den Beeten sind vom tausendmaligen
Begangenwerden zu akkuraten Lehmsträßchen geebnet. Umfriedet ist das kleine Paradies mit einem einfachen, dunkelgrau gestrichenen
Eisenzaun, wie man ihn von alten Schwarzweißfotografien aus der Provinz kennt.
Als Sonja und ich dort vorbeikamen, verlangsamten wir unweigerlich die Schritte. Was für ein schöner Anblick! Was da wuchs
und gedieh, präsentierte sich in voller, sommerlicher Kraft, entfaltete eine schlichte, sich selbst genügende Pracht, die
es nicht nötig hatte, hochdelüxt zu werden mit bunten Garten-Christbaumkugeln und silbrigen Antikpflügen. Wir blieben stehen
und ließen unsere Blicke schweifen, sogen mit den Augen die Farben und Formen in uns auf, wie Kunstfreunde in der Sixtinischen
Kapelle. Und wie Kunstfreunde kommentierten wir ehrfürchtig leise den Anblick, machten einander auf eine besonders gelungene
Farbgebung aufmerksam, einen
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