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Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Titel: Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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bitten. Sofort teste ich meine Erkenntnis:
    «Ich hätte gerne ein paar Strippen», lege ich mein Insiderwissen gleich mal knallhart auf den Tisch.
    Frau Widdels Gesichtsausdruck verändert sich von neutral auf «Altersheimleiterin hat Geduld mit senilem Patienten».
    «Wie jetzt   … Strippen?», murmelt sie, eher so vor sich hin als an mich gewandt.
    «Na, Strippen», sage ich, «so sechs Stück. Haben Sie keine mehr?» Jetzt will ich es aber wissen.
    «Noch nie gehabt. Schnürsenkel hab ich, oder Bindfaden. Strippen hat hier noch keiner verlangt.»
    «Aber meine Frau hat bei Ihnen Strippen gekauft, das weiß ich ganz genau», trumpfe ich auf.
    Frau Widdel denkt nach. Zumindest vermute ich das, sie guckt nämlich jetzt nicht mehr mich an, sondern die Kassenkröte. Dann:
     «Das kann ich mir nicht vorstellen.»
    Die Kasse ist unbeeindruckt, sagt nichts dazu. Also wendet |123| sich Frau Widdel wieder an mich. «Wofür brauchen Sie denn ’ne Strippe?»
    «Na, fürs Frühstück», gebe ich Auskunft, obschon mein kleiner Schweizer eindeutig der Ansicht ist, dass es das Verkaufspersonal
     eigentlich nichts anzugehen hat, wie und wann das zu Verkaufende verköstigt wird.
    «Sie wollen sie
essen
?» Jetzt mustert mich Frau Widdel zum ersten Mal mit echtem Interesse. Sie kennen ja den Witz, wo der Hase in die Bäckerei
     kommt und einen Liter Wurst bestellt – wie dieser Hase fühle ich mich jetzt.
    «Äh, ja, was sonst, meine Frau sagt, Sie haben ganz hervorragende Strippen.»
    «Strippen zum Essen   … hammwanich», sagt Frau Widdel. Ihre Mimik verwandelt sich in eine unzählige Male bewährte Variante nonverbaler Kunden-Ruhigstellung:
     40   Prozent Schicksalsergebenheit, 40   Prozent Endgültigkeit und 20   Prozent Angenervtsein. Ergibt zusammen 100   Prozent Widdel’sches «Hammwanich-Gesicht». Was soll man darauf antworten? Ich antworte nicht.
    Stille. Frau Widdel guckt mich an, ich mich im Laden um. Ich verschaffe mir Überblick. Systematisch im Uhrzeigersinn, wie
     es mir mein Vater beigebracht hat, wenn ich etwas einfach nicht finden konnte. «Geh das ganze Zimmer im Uhrzeigersinn durch,
     dann findest du es sicher!» Manche elterlichen Ratschläge funktionieren tatsächlich   …
    Also: hinten, gegenüber der Eingangstür, ein Kühlregal mit unmutig brummendem Kompressor. Scheiblettenkäse in Plastik, Quark
     in Plastik, Frischkäse in Plastikbechern, Joghurtartiges in Plastikbechern, Leberwurst in Plastikhaut. Eier im Glas, Gurken
     im Glas, Mais im Glas, Rote Beete im Glas. Rechts über die Ecke: ein großes Regal mit Putzmitteln, Abwaschmitteln, Teppichpflegemitteln,
     Glasreinigungsmitteln, Backofenselbstreinigungsmitteln. |124| Sapperlot, Amerika muss ein sauberes Dorf sein – ich denk, ich bin in der Schweiz!
    Wieder rechts daneben das Regal mit den Dosen. Fisch in Dosen, Kartoffeln in Dosen, Schwein in Dosen, Rind in Dosen, Wild
     in Dosen, Dosen in Dosen. Dann die Erwachsenenabteilung: Schnaps in der Flasche, Wein in der Flasche, Wein im Tetrapack, Bier
     in der Dose, Pils in der Dose. Wieder rechts um die nächste Ecke: das Regal mit allerlei. Billiges Kinderspielzeug, vornehmlich
     Mädchenkram in Rosarot, einige Bastei-Romane, Schuhcreme, Spielkarten, Wäscheklammern, Schnur, Grillanzünder, Schokolade,
     Bonbons, Kekse, Drops, Gummibärchen, Lakritzschlangen, Streichhölzer.
    Der Zeitungsständer. Die Eingangstür. Frau Widdel. Die Kasse, definitiv krötig. Kröten verschlingende Kröte, hahaha.
    Weiter: Eine Kühlvitrine mit etwas leiser brummendem Kompressor. Darin: Patisserie. Vier Sorten, jeweils vier Stück: Berliner,
     Cremeschnitte, Liebesknochen, Würfeltörtchen, rosa glasiert. Daneben Dauerwurst
ohne
Plastik. Daneben Schwarzwälder Schinken, fünf Scheiben in Plastik, Westfäler Schinken, fünf Scheiben in Plastik, Salami, 15   Scheiben in Plastik, Schwartenmagen, 300   Gramm im Plastiktöpfchen. Die Ecke zwischen Kühlvitrine und Kühlregal ist frei, da geht’s nach hinten, ins Innerste von Frau
     Widdels Reich.
    Inmitten des Raums: Stapel von Getränkekisten. Mineralwasser, Bier, Pils, Bier, Weißbier, Bier, Dunkelbier, Bier, Cola, Bier,
     Fanta, Bier, Sprudel und   … Sprudel mit Citrusgeschmack.
    «Haben Sie Milch?», frage ich. «Vor Ihnen», sagt Frau Widdel.
    «Wo?», frage ich, zum Kühlregal blickend. «Vor Ihnen», wiederholt Frau Widdel.
    «WO?», fragen meine Augen stumm. «Na, am Boden vor Ihnen», sagt Frau Widdels Mund eindringlich.
    Tatsächlich: Da steht

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