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Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Titel: Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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werden könnten, dass nur die modernen Maschinen und Methoden der LPG eine ausreichende Ernährung für das werktätige Volk der
     Deutschen Demokratischen Republik sicherstellen könnten und es daher einem Verbrechen am Volke gleichkomme, sich weiterhin
     dem Fortschritt zu verschließen und diesen aus niedrigen Beweggründen des Eigennutzes zu sabotieren.
    Das ging stundenlang so, tagelang. Einer nach dem anderen knickte ein. Es war einfach nicht auszuhalten, jeden einzelnen Tag
     immer wieder aufs Neue ohnmächtig ertragen zu müssen, wie der eigene Name öffentlich verunglimpft wurde, das überstieg die
     Kräfte fast aller. Bis schließlich Hans als einziger frei wirtschaftender Bauer übrig blieb.
    Irgendwann fuhr der Lautsprecherwagen nicht mehr im Dorf umher. Er parkte direkt vor Hans’ Hof und dröhnte ihn den ganzen
     Tag lang mit «Überzeugungs»-Propaganda zu. Am Ende kamen sie auch nachts. Spielten willkürlich irgendetwas ab: Reden von hohen
     Funktionären, Musik, Hörspiele, egal was, es ging nicht mehr um Inhalte, es ging nur noch um Lärmterror.
    Hans bewies übermenschliches Stehvermögen. Scheinbar ungerührt trieb er demonstrativ seine Schweinchen durchs Dorf auf die
     Weide, lieferte seine paar Liter Milch im Laden ab, tuckerte mit dem |137| alten Einzylinder-Schwungrad-Traktor über seine Äcker. Selbst als ihm die Nachbarn drohten, seinen Hof bald anzünden zu müssen,
     weil sie einfach den Lärm nicht mehr ertragen konnten, blieb Hans stur.
    Die Partei gab schließlich auf. Der Versuch, Hans zum «freiwilligen» Beitritt zu bewegen, war gescheitert. Sie haben ihn dann
     einfach zwangsenteignet. Ganz ohne schönen Schein. Sie holten seine Tiere aus dem Stall, überpflügten seine Äcker, räumten
     seine Scheune aus. Immerhin, er durfte in seinem Haus wohnen bleiben. Vorläufig, wie es hieß. Aber mit dem Bauernberuf war
     es vorbei. Sie steckten ihn zur Reichsbahn, in den Geleisebau.
    Nach der Wende hat Hans natürlich sofort Rückübereignung beantragt. Es folgten Jahre der Antragstellerei, Beweisführerei,
     erneuten Antragstellerei. Eines Tages erhielt er ein Einschreiben, eine Einladung, dann und dann in diesem und jenem Amtsbüro
     zu erscheinen. Zwecks abschließender Erledigung seines Rückübereignungsantrags.
    Der Zufall wollte es, dass sich Hans bei seinem Erscheinen ausgerechnet dem Beamten gegenübersah, der ihm damals das Enteignungsdokument
     überreicht hatte. Dieser teilte ihm mit, seinem Antrag sei nunmehr stattgegeben worden, sein ehemaliger Hof samt Ländereien
     sei ihm wieder zu überschreiben. Das entsprechende Dokument schmiss er nachlässig, als wäre es irgendein Dreckswisch, über
     den Tisch hinweg Richtung Hans und sagte hämisch: «Na, du alter Sack. Was nützt dir denn jetzt noch dein Scheißhof, hä? Bist
     doch inzwischen viel zu tatterig zum Bauern, du Wrack!»
    Hans nahm das Dokument, faltete es sorgfältig einmal, dann noch einmal zusammen und schob es ganz ruhig in die Innentasche
     seiner Jacke. Er beugte er sich über den Tisch, bis er den schlechten Atem des Beamten roch, und sagte: «Ich hab mir gestern
     ’n Trecker gekauft.»
    |138| Mit dem knatterte Hans fortan stolz durch Amerika. Grüßte lachend vom Fahrersitz herunter all jene, die ihm nicht zugetraut
     hatten, dass er es wirklich nochmal packen würde. Er zerrte Pflug, Egge, Grubber und Sämaschine aus der Scheune, wo sie all
     die Zeit still rostend vor sich hin gedämmert hatten, und küsste sie wach. Mit Schraubenschlüssel, Hammer und Schweißgerät.
     Er bestellte wieder seine alten Felder, schaffte sich Hühner an, bald darauf auch Schweine. Und als ob die lange Zeit des
     Enteignetseins nur eine kaum erwähnenswerte Episode gewesen wäre, trippelte das Borstenvieh genau wie früher vor Hans her
     durchs Dorf, morgens auf die Weide, abends zurück in den Stall.
    «Wisst ihr, manche im Dorf haben den Kopf geschüttelt über Hans, den Sturschädel», sagte Schwester Alma und schenkte sich
     das Glas voll. Nach einem großen Schluck, gefolgt von einem genussvollen Seufzer, fuhr sie fort: «Aber ich bin sicher, eigentlich
     haben sie ihn bewundert.» Sie stellte das Glas auf den Tisch und umschloss es fest mit beiden Händen. «Denn eigentlich hat
     mein Hans ihnen doch Mut gemacht. Hat ihnen gezeigt, welche Kraft da drin steckt, im Sich-nicht-unterkriegen-Lassen.»
    Dies seien die glücklichsten Jahre gewesen im Leben ihres Hans. Es seien ihm zwar nur noch fünf vergönnt gewesen, aber

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