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Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Titel: Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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Schmachthagen, wo du doch Frau Widdels Schrippen so gut findest?»
    «Das sind Widdel-Schrippen.»
    «Echt? Und du bist nur wegen der Zeitungen nach Schmachthagen   …»
    «Die Zeitungen sind auch von Frau Widdel.»
    Wenn Sonja etwas vernimmt, das sie, erstens, richtig, richtig gut findet, und zweitens niemals nie für möglich gehalten hätte,
     wenn also völlig überraschend ein Wunder geschieht, dann hat sie eine Sonja-spezifische Standardreaktion: Sie reckt den Kopf
     so weit wie möglich waagerecht nach vorn, was bei ihrer Halslänge sehr weit ist, verwandelt ihre Augen in basedowsche Billardkugeln
     und schaltet ihren Stimm-Synthesizer auf «Motor-Yacht, volle Kraft voraus». In |157| dieser Frequenz schiebt sie alsdann, aus den Tiefen ihrer tiefsten Eingeweide aufsteigend, ein langgezogenes «neeeeee» durch
     die Kehle. Ich beschreibe das hier so ausführlich, weil Wunder naturgemäß nicht oft geschehen und es gut sein könnte, dass
     Sie keine Gelegenheit haben werden, das mal im Original von Sonja selbst zu hören.
    «Neeeeee», machte Sonja.
    «Doooch», machte ich.
    «Aber wie kann das sein? Wer kauft die denn?»
    «Na ich, zum Beispiel.»
    «Ich meine, wer von den normalen Amerikanern kauft die?»
    «Bin ich nicht normal?»
    «Nein, bist du nicht, du bist etwas ganz unnormal Besonderes.» Ich will ja nicht prahlen, aber wann hat der Mensch an Ihrer
     Seite zuletzt so etwas über Sie gesagt?
    Ich gab ihr einen Unnormal-unmoral-Samstagsfrühstück-im-Grünen-Kuss und erzählte von Frau Widdels Arrangement mit dem verstorbenen
     Herrn Schönemann.
    «…   und das bedeutet», schloss ich, «Frau Widdel erweitert ihr Sortiment unter
gewissen
Umständen und für
gewisse
Kunden. Die Frage ist: Wie hat Schönemann das hingekriegt?»
    «Um das herauszufinden, müssen wir uns also fragen: Was hatte der selige Wissenschaftsjournalist, was wir nicht haben?», folgerte
     mein Weib messerscharf.
    Ich machte einen ersten Versuch: «Er war ein Intellektueller?»
    «Irrelevant», sagte Sonja, «interessiert Frau Widdel so viel, wie wenn in Schöps Nebraska ein Fahrrad umfällt.»
    «Also lautet die Frage: Was hatte Schönemann, was wir nicht haben und Frau Widdel interessieren würde?», grenzte ich die Suchkriterien
     ein.
    Sonja begann, laut nachzudenken. «Ich hab von der Ursina, du |158| weißt, das ist die Schriftstellerin, die Schönemanns Wohnung im Kutscherhaus übernommen hat   …» – ich wusste natürlich wieder mal gar nichts, behielt das aber für mich und nickte nur   –, «…   also von ihr hab ich gehört, ihr sei erzählt worden, er habe eine Katze gehabt   …»
    «Katzenfutter hatte Frau Widdel immer schon im Sortiment   …», warf ich ein.
    «Wart mal schnell», unterbrach sie mich.
    «Wie soll ich das machen: schnell warten?»
    «Ditaaa, jetzt lass   …» Sonja kam in Fahrt. «Außerdem sei er wirklich ein sehr kultivierter Mensch gewesen, so alte Schule, du verstehst», sagte
     sie bedeutungsvoll. «Er soll seinem Namen entsprechend ausgesehen haben, der Schönemann: blendend für sein Alter. Und: Er
     war ein alleinstehender Witwer!»
    Auf einmal hörte ich laut das vielstimmige Summen der Bienen in den Kirschbaumblüten über uns.
    Ihre Fruchtbarkeitssinfonie.
    Dirigiert von den warmen Strahlen der Sonne
.
    Kirsch
rot sind Frau Widdels Nägel,
sonnen
gelb ist ihr Haar   …
    Sollten die Ladenbesitzerin und der freundliche Herr miteinander   …?
    «Du meinst   …», stotterte ich. Schon die pure Vorstellung brachte mein Koordinatensystem durcheinander. «Frau Widdel ist verheiratet,
     wo denkst du hin   …»
    «Ich meine gar nichts», sagte Sonja in einem Ton, der deutlich bewies, dass sie sehr viel meinte. «Ich versuche nur aufzuzählen,
     was er hatte, was wir nicht haben. Ein gutaussehender alleinstehender Witwer, das bist du schon mal nicht.»
    «Na», sagte ich, «dann liefere ich mich umgehend in eine Beauty-Farm ein und lasse mich umschnippeln zum Clooney-Klon. Und
     nachdem ich dann auch den Benimmkurs ‹Alte Schule› mit Diplom |159| abgeschlossen habe, falle ich mit roten Rosen vor Frau Widdel auf die Knie und teile ihr mit, dass ich statt H-Milch ganz dringend Frischmilch brauche. Zuallererst aber lade ich dich, mein Schatz, ein zu einer kleinen Bergwanderung in meiner
     Heimat, von der ich dann leider nur alleine zurückkehren werde, als alleinstehender Witwer. Sehr gut, ja, gefällt mir: Es
     gibt Leute, die müssen einiges mehr tun, um an Frischmilch zu

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