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Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Titel: Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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Unsere Frau Widdel? Oder war sie über Nacht von Außerirdischen entführt und durch einen Humanoiden
     ersetzt worden, dessen Programmierung einen Virus hat, den Freundlichkeitsvirus? Ist sie jetzt ein Konsum-Terminator? Ich
     scanne Frau Widdel ab, auf der Suche nach einer versteckten Funkantenne in der blondierten Frisurkunst, fokussiere ihre Stirn,
     ob da eine überschminkte Steckerbuchse wahrzunehmen wäre   … Doppelte Fehlanzeige. Vielleicht hatte sie ja eine verdächtige Leuchtdiode im Genick? Doch der Blick darauf war mir leider
     verwehrt. Meine Augen zoomten zurück von Makro auf Halbtotale: Da saß Frau Widdel und
lächelte mich an   …
der Frühling ist voller Wunder. «Genießen Sie Ihr Frühstück», hatte sie tatsächlich gesagt, sie beherrschte Freundlichsprech.
    «Das werde ich, Frau Widdel», charmierte ich zurück, «mit Ihren Schrippen ist Genuss doch garantiert.»
    Und verführerisch stieg es auf, vor meinem geistigen Auge, das genussvolle Frühstück: Brotkörbchen, dampfender Kaffee, Speck,
     Käse, Marmelade, alles, was eben dazugehört, ausgebreitet auf dem Tisch unter dem Kirschbaum, jawohl, das wird das erste Frühstück
     des Jahres im Freien, mit freiem Blick über das knospende Land! Und was darf keinesfalls fehlen bei so einem Werbespot-Frühstück
     in idyllischem Grün? Die Zeitung natürlich, und zwar eine von diesen dicken fetten Wochenendausgaben voll großer weiter Welt,
     Reisen, Wohnen, Essen, Motor, Feuilleton, Politik, Wirtschaft, Kommentar, Leute   … und dem Sportteil fürs Katzenklo. Das ist Lebensart, das ist Frühling!
    «Haben Sie eigentlich auch so was wie ’ne Tageszeitung, Frau Widdel?», frage ich, dem Prinzip Hoffnung frönend.
    «Die BamS liegt da unten vor den Illus.»
    |154| Tja, was habe ich erwartet? «Haben Sie auch richtige Zeitungen?»
    «Märkische Oder-Zeitung. Aber da müsste doch noch was mehr liegen, so gucken Sie doch einfach mal.»
    Na gut, dachte ich, dann eben die «Märkische», besser als nix. Lokal-Info hat ja durchaus einen gewissen skurrilen Reiz. Ich
     näherte mich demütig dem Krupp-Draht-Gitter. Schob ein wenig an den kleinen Stapeln rum und fand: eine Frankfurter Allgemeine
     Zeitung! Und: eine Süddeutsche und   … jetzt haut’s dem Fass den Boden aus: Die Zeit! Genug High-end-Lesestoff für mindestens zehn Frühstücke in Serie.
    «Das ist ja toll, was Sie da für eine Auswahl haben, Frau Widdel, alle Achtung!» Es war wie Ostern und Weihnachten zusammen.
     Ich griff mir Lektüre in Telefonbuchdicke und fragte: «Wer liest denn diese Zeitungen in Amerika?»
    «Na, der Herr Schönemann vom Kutscherhaus beim Schloss drüben. Der wollte die immer.»
    «Ach, dann sind die reserviert?», fragte ich enttäuscht.
    «Nee, der Schönemann ist doch nicht mehr. Herzschlag aus heiterem Himmel. Kurz nachdem
Sie
nach Amerika gekommen sind. Das war vielleicht ein Schreck. Wirklich schade um ihn. So ein gebildeter Mann und überhaupt nicht
     von oben herab oder so, ein sehr, sehr netter Herr.»
    Frau Widdel verstummte. Blickte ins Leere. Trauerte sie?
    «Und der hat   …», hakte ich vorsichtig nach.
    «Na, der war doch Wissenschaftsjournalist gewesen, vor seiner Rente, der musste doch auf dem Laufenden sein, da hat er doch
     dauernd so was lesen müssen. Das wurde dann eben Gewohnheit bei ihm, konnte er ja nicht einfach so wieder abschalten, nur
     weil er auf Rente musste.» Frau Widdel ließ eine richtige Verteidigungsrede vom Stapel, als wäre das Lesen von guten Zeitungen
     etwas Verwerfliches. |155| «Der hat ja auch noch an seinem Buch gearbeitet, bis zuletzt! Über die geschichtliche Historie von unserem Schloss.»
    «Und für diesen Herrn äh, Schön-Dings», fragte ich, «haben Sie dann Ihr Zeitungssortiment erweitert, obschon sonst niemand
     in Amerika   …?»
    «Schö-ne-mann! Na, wo er sie doch so unbedingt haben musste, seine Zeitungen   …»
    «Aber sonst verlangt die keiner hier, oder?»
    «Ich führ sie jetzt eben weiter, auch wenn der Schönemann sie nicht mehr holt. Kann sie ja zurückgehen lassen, wenn sie liegenbleiben.»
    «Bleiben sie diesmal nicht, Frau Widdel, ich nehme sie.»
    «Wenn Sie meinen, bitte   …»

|156| Kirschblütenträume
    Sonja hatte inzwischen den Tisch gedeckt. «Mein lieber Maaaan, es ist schon richtig warm draußen, wir nehmen es unterm Kirschbaum,
     das Frühstück», jubelte sie.
    «Gedankenübertragung», erwiderte ich und legte meine Einkäufe dazu.
    «Warum warst denn du in

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