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Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

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Titel: Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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Nutzfläche immer wichtiger, um die rasant wachsende Stadtbevölkerung
     mit |222| Nahrung versorgen zu können. Man brauchte Menschen, die das Land bestellten. Aus weiten Teilen Europas lockte man sie hierher,
     sie machten aus Brache Kulturland, legten Siedlungen an und bewirtschafteten ihre Höfe. Neben den riesigen Gütern der adeligen
     Großgrundbesitzer entstand die kleinteilige Landwirtschaft der freien Bauern. Der Staat förderte sie stark, indem er ihnen
     zu sehr günstigen Bedingungen Flächen und Darlehen zu Verfügung stellte. Die guten Absatzmöglichkeiten für die bäuerlichen
     Erzeugnisse in der nahen Metropole taten ihr Übriges: Die weite Wildnis Brandenburgs entwickelte sich rasant zum agrikulturellen
     Wirtschaftsfaktor.
    Nun ist die Landwirtschaft naturgemäß je nach Saison mehr oder weniger arbeitsintensiv. Im Frühjahr, wenn der Boden bestellt
     wird, und im Spätsommer, für das Einbringen der Ernte, braucht es viele helfende Hände. Im Winterhalbjahr hingegen ruhen die
     Äcker und Weiden, die Arbeitslast auf dem Hof ist wesentlich geringer. Jeder Hof hatte daher eine relativ kleine Stammbelegschaft.
     Mägde und Knechte, Fuhrleute, Melker, Verwalter und so weiter. Zur Aussaat oder Ernte wurde dieser Personalkern massiv aufgestockt
     durch Wanderarbeiter. Die vielen mehrstöckigen Wohnhäuser am Rande der Siedlungen, die ehemaligen «Schnitter-Kasernen», zeugen
     von dieser Tradition. Sie ist bis heute nicht verschwunden – Stichwort Spargelstecher. Zu diesem Heer von Wanderarbeitern
     kam in der sowjetischen Besatzungszeit das Heer des großen sozialistischen Bruders hinzu, sodass Amerika nicht selten von
     mehr Fremden bevölkert wurde als von Eingesessenen.
    Krüpki wirft ein, dass diese Männer natürlich nicht nur schufteten, sondern auch leben wollten, und sich abends öfter das
     eine oder andere Fest ergab. «Das versteht sich ja von selbst, wa. Und dass es in diesen Sommernächten nicht eben prüde zuging,
     wohl auch. Wir erinnern uns gerne, Lotte, wa?»
    |223| Sie geht nicht darauf ein, sondern fährt fort. Mit dem Bauernsterben und der Übernahme der verbliebenen Höfe durch die industrielle
     Landwirtschaft sei der Bedarf an fremden Arbeitskräften stetig gesunken, sodass die Amerikaner nach dem Abzug der Roten Armee
     wieder weitgehend «unter sich» gewesen seien. Doch einige Wanderarbeiter hätten bis heute nicht aufgegeben. Nach wie vor zögen
     sie von Dorf zu Dorf und böten als «flexible Allrounder» ihre Dienste an.
    «So wie unser Rambo», verkündet Krüpki.
    «Ach, jetzt wirst du doch nicht wieder mit deinen Rambo-Geschichten aufwarten wollen, oder?», fragt ihn Lotte.
    «Was heißt hier
deine
Rambo-Geschichten? Das meiste hab ich doch geradewegs von dir, liebes Löttchen, wa? Und von Schwester Alma natürlich.»
    «Du stellst mich ja hin, als wäre ich die größte Dorftratsche, also wirklich.» Lotte kippt sich den letzten Rest aus der Sektflasche
     in ihr Glas, prostet leicht in die Runde und trinkt. Ein kleines, leises Bäuerchen entfährt ihr. «’tschuldigung.»
    «Wer ist dieser Rambo?», will Sonja wissen.
    «Aber das ist doch alles Klatsch, nein, das müssen wir jetzt nicht auch noch bei Dieter und Sonja ausbreiten», ziert sich
     Lotte. Sonja und ich betteln wie kleine Kinder, die noch eine Gute-Nacht-Geschichte hören wollen, darum, zu erfahren, was
     es mit diesem Rambo auf sich hat.
    «Erzähl du, ich sage jedenfalls nichts», entscheidet Lotte dezidiert in Richtung Krüpki. Und tatsächlich fängt er an zu erzählen.
     Schon bald mischt sich Lotte doch in seine Schilderung ein. Erst nur ein wenig, nur dann, wenn ihr Korrekturen angebracht
     scheinen, aber nach und nach ergänzt sie immer ausführlicher. Schließlich ist sie die Haupterzählerin, und er hat, ohne es
     so recht zu bemerken, die Rolle des assistierenden Stichwortgebers übernommen   …
     
    |224| Rambo ist in Amerika eigentlich kein Fremder mehr, eher ein temporärer Einheimischer. Von vielen vergangenen Saisoneinsätzen
     her ist er wohlbekannt im Dorf. Wer Arbeit zu vergeben hat, heuert ihn gerne an. Man weiß, was man an ihm hat, kauft nicht
     die Katze im Sack. Er kommt mit den Schwalben, ist einen Sommer lang da, gehört dazu, und mit dem einsetzenden Herbst macht
     er seinen Abflug. Keiner fragt, wohin.
    Über Rambo kursieren in Amerika zahlreiche Geschichten. Einige wenige drehen sich um seine Vorzüge als Arbeiter, die überwiegende
     Mehrzahl aber handelt von seinen

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