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Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Titel: Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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nickt wieder ein.
    «Sonja?», meldet er sich einige Kilometer später.
    «Hm?»
    «Schon in Ordnung, dass de meine Heimat schön finden tust. Isse ja schließlich auch, wa?»
     
    |242| Der alte Mann führt die beiden um den Schuppen herum. Da stehen sie, auf einer kleinen Koppel. Sonja ist entsetzt. Mit dem
     Fell der Schafe stimmt doch ganz entschieden etwas nicht. An manchen Stellen sind die Tiere fast kahl, an anderen mäandert
     die Wolle in seltsamen Zotteln an der Haut herunter. Sonja sieht Teddy fragend an, doch der verzieht keine Miene.
    «Das sind sie», erklärt der alte Mann. «Was sagen Sie?»
    Sonja ist sprachlos, Teddy schaut über die Herde hinweg in den weiten Himmel und schweigt sich aus.
    «Na?», insistiert der Alte.
    «Wer hat die geschoren?», fragt Teddy.
    «Ich! Eigenhändig», antwortet der Besitzer stolz. «Extra, damit sie gut aussehen, wenn ihr kommt.»
    Teddy blickt dem Alten offen in die Augen «Gut? Die sehen scheiße aus.»
    «Na, das ist doch   …» Der Alte macht einige Schrittchen rückwärts.
    «Aber so was von scheiße», bekräftigt Teddy.
    «Ich hab mir doch richtig Mühe gegeben. Gut, ich mag ja vielleicht nicht der beste aller Scherer sein, aber   …»
    «Mein Bruder ist deutscher Vizemeister im Schafscheren», unterbricht Teddy. «Wenn der diese Tölen sehen tut, kriegt der ’n
     Anfall. So was kann ich ihm unmöglich nach Hause bringen. Das ist ja eine Schande ist das.» Er dreht sich um, geht Richtung
     Auto. «Ich kann da gar nicht länger hingucken. Komm, Sonja, sehen wir zu, dass wir von hier wegkommen.»
    «Aber so warten Sie doch!» Der alte Mann wird nervös. «Das wächst sich doch aus, ist doch nur die Wolle, die Tiere selbst
     sind   … So bleiben Sie doch!» Er läuft Teddy hinterher. Der steht schon in der geöffneten Beifahrertür. «Na, denn lass mal hören.»
    Die beiden sind sich handelseinig geworden. Die Tiere haben |243| einen guten Preis erzielt. Zumindest aus Sonjas und Teddys Sicht.
    Im Auto fragt sie ihn: «Hättest du die Schafe nicht etwas genauer unter die Lupe nehmen wollen, Teddy? Du hast ja kaum hingesehen.»
    «Wat soll ich da stundenlang kieken? Die Schafe sind top, det seh ich sofort. Werden uns viel Freude machen, die Viecher.»
     Teddy ruckelt sich zufrieden tiefer in seinen Sitz und nickt leise schnarchend ein.
    Sonja denkt: «Schafe, jetzt also Schafe   …»
    Sie erinnert sich an all die spannenden, lehrreichen und so unglaublich aufreibenden Aufgaben, die sie in ihrer Biographie
     auflisten kann. Als Journalistin hat sie mehr als einen Lokalpolitiker ins Schwitzen gebracht, einen sogar zum Abdanken. In
     Mailand hat sie als Model gearbeitet und damit ihr Studium finanziert, sie hat in der Wiener Jazz-Szene Events organisiert,
     hat als Anzeigenleiterin die Kultur-Stadtzeitung mit aufgebaut und einen Verlag gleich noch dazu. Sie hat die Wiener «Schule
     für Dichtung» mitbegründet und auf den Weg gebracht, sie hat in Deutschland Fernsehsendungen entwickelt und produziert, sie
     hat in Zürich als Geschäftsleiterin unsere T V-Firma gemanagt und dann auch noch Film-Produzentin   … Und jetzt?
    Jetzt hat sie zu verarbeiten, dass sie nach all diesen superwichtigen, prestigeträchtigen Tätigkeiten ihre größte Herausforderung
     vor sich hat: Soeben ist sie aufgestiegen. Zur Schafzüchterin. Und damit zur Herrin über Leben und Tod.

|244| Himmel auf Erden
    Man hört nur das leise Kauen und Schmatzen von Schafmündern, unterbrochen von Heurascheln, wenn die Tiere Nachschub aus der
     Futterraufe zupfen, oder dem dünnen Blöken eines Lamms, gefolgt vom bestätigenden Vibratogurren der dazugehörenden Mutter.
     Die große Kälte dieses Winters ist schon weniger schneidend, der gnadenlos beißende Ostwind hat sich endlich gelegt. Langsam
     beginnt die Sonne, wieder Kraft aufzubauen. Die oberste Schicht des eben noch steinhart gefrorenen Bodens hat sie bereits
     weich getaut.
    Dicht an der Weide stehen Sonja und Teddy einträchtig nebeneinander. Zwei Gestalten in winterlicher Landschaft. Atemwölkchen
     entweichen ihren Mündern. Sie wirken, als ob sie seit Jahren schon hier stehen würden, als hätten sie Eiszeiten und Sandstürmen
     getrotzt, Fluten und Dürrezeiten überstanden, ohne sich zu bewegen, ohne zu weichen.
    Teddy sieht in seiner dickgepolsterten karierten Jacke und den schweren Winterstiefeln noch riesenhafter aus, als er sowieso
     schon ist. Sein Gesicht, eingerahmt von Fellmütze samt Ohrenklappen |245| und

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