Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht
Besonderen darüber, dass nun schon der Hinterste
und Letzte ein Auto besaß und damit nichts Besseres zu tun hatte, als bei diesen Lebensmittelketten in Schmachthagen einkaufen
zu fahren.
Hanne hörte sich alles geduldig nickend an und lobte Frau Widdel für ihren tapferen Einsatz zum Wohle der Nächstversorgung
ihrer Nächsten. Frau Widdel fühlte sich von Hanne wunderbar verstanden. Nur was ihre absolute Frischmilch-Verweigerung betraf,
musste sie auf das mitfühlende Verständnis von Hanne verzichten.
«I was ned, wos du host, Waltraut. Mir ham doch immer eine frische Milch im Angebot gehabt, damals, immer!», bekam Frau Widdel
von Hanne zu hören.
«Hier verlangt aber keiner Frischmilch, weißt du, Hanne? Wenn sie umsatzrelevant wäre, würde ich selbstverständlich welche
führen, aber die Leute kaufen eben nur H-Milch . Ist einfach praktischer. Und wir hier im Osten haben Sinn für das Praktische, Hanne, verstehst du?»
«Vielleicht, könnt ja sein, dass eventuell, liebe Waltraut, die Leit schon eine frische Milch kaufen täten, wenn du welche
im Angebot haben würdest. Was sogst’n dazu?»
«Es ist umgekehrt. Ich hab keine Frischmilch im Angebot, weil die Leute keine kaufen, ich bin doch nicht bescheuert, Hanne,
wa?»
«Nein, bescheuert bist du net, wirkli net, liebe Waltraut. Du wirst scho wissen, wast tust, gö?»
Als Hanne uns von diesem Gespräch mit Frau Widdel berichtete, ließen wir alle Hoffnung auf eine Frischmilchzukunft fahren.
Nicht |239| einmal der lebensklugen Hanne, Einzelhandelskauffrau-Fachkollegin von Frau Widdel, war es gelungen, diese vom Segen der Frischmilch
zu überzeugen. Nun gab es keine Rettung mehr. Als Hanne abreiste, hatte sie die Zuneigung vieler Amerikanerinnen gewonnen.
Bis heute pflegt sie mit ihnen einen regen Postkartenverkehr. Auch Frau Widdel gehört als eine der wichtigsten zu diesem Kreis.
Allein: «Frischmilch kauft keiner» blieb eisernes Widdel-Gesetz, Kartengrüße hin oder her.
|240| Schwarzköpfe
Teddy und Sonja holpern im Jeep über das Brandenburger Land. Sie sind unterwegs, Schafe anzuschauen. In der Bauernzeitung
ist ein Inserat gewesen: «Kleine Schwarzkopfherde/trächtige Muttertiere/sofort abzugeben.» Sonja hat gleich angerufen und
den Besichtigungstermin vereinbart. Es geht um ein gutes Dutzend Mutterschafe, tragend. Der Besitzer hat sie als Hobby gehalten
und will sie nun «aus Altersgründen» abgeben.
Ganz früh am Morgen schon sind sie losgefahren. Teddy lotst Sonja über Schleichwege zum Ziel. Über die alten DD R-Agrarwege , zwei parallel laufende schmale Bahnen aus Betonplatten, querfeldein. Die beiden reden nichts. Sonja ist überwältigt von
der Landschaft, kann sich gar nicht satt sehen an ihrer neuen Heimat. Weites Land, großer Himmel, klare Luft, Tau glitzert
in den Gräsern, immer wieder rot und orange leuchtende Laubwälder. Sie fahren an Hecken vorbei, an kleinen Seen, an abgeernteten
Kornfeldern, hier eine verfallene Scheune, dort ein verlassenes Feldsteinhäuschen. Und das alles in jenes warme flammrote
Morgenlicht getaucht, das für dieses Land so typisch ist.
|241| Teddy döst auf dem Beifahrersitz vor sich hin. Gestern ist Freizeit gewesen, Sonntag. Und als er sich endlich in die Federn
legte, war es schon seit ein paar Stunden Montag. Trotz seines Schlafmangels schafft er es, sich jedes Mal rechtzeitig vor
der nächsten Abzweigung kurz mit verschwommenem Blick zu orientieren. Dann schließt er die bleischweren Augendeckel sofort
wieder und brummt sein «links», «rechts», «drüber», gefolgt von Sonjas «okay», «jup», «mach ich».
Gerade hebt er wieder ein halbes Augenlid. «Da links, nach der Scheune.» Doch Sonja antwortet diesmal nicht. Teddy öffnet
auch das zweite Auge und blickt zu ihr herüber. «Wat is denn mit dir auf einmal los?», fragt er ungläubig. «Mensch, Sonja,
heulst du etwa?»
«Nein», schnieft sie und wischt sich über die nasse Wange. «Ich freu mich.»
«Läuft dir immer Wasser aus die Augen, wenn de dir freuen tust?»
«Nein, nur wenn es sehr viel Freude ist, so wie jetzt.»
«Na, na, na, wir kieken uns doch bloß ’n paar olle Schafe an, wa?»
«Aber, Teddy, dieses Land, es ist so schön, alles so wunderschön, siehst du das nicht?»
«Wat is hier schön?»
«Alles, das Land, die Felder, die alten Gebäude, einfach alles.»
«Diese versifften Katen und die ollen Äcker? Schön? Du hast se nicht mehr alle.»
Spricht’s und
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