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Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Titel: Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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Netz misst etwa 1   Meter mal 50   Meter. Es verfügt über 14 eingeflochtene Kunststoffstäbe, die unten jeweils in zwei eisernen, etwa 20   cm langen Dornen enden. Und jedes einzelne Schafnetz besitzt einen ausgesprochen bösartigen Charakter. Das höchste Glück empfindet
     das gemeine Schafnetz, wenn
die 28   Eisendorne sich heillos im Netz verheddert haben,
es in sich selbst verdreht ist und der Aufstellende sich wundert, warum hier plötzlich der Dorn nach oben statt nach unten
     zeigt,
sich kleine Ästchen in ihm versteckt haben, die bewirken, dass es beim Auseinanderfalten zwar faltet, aber nicht auseinander,
sich die Füße des Aufstellers in ihm verfangen und er auf die Schnauze fällt – gerne in einen Haufen Schafkötel,
es nach dem Sturz in wirrem Durcheinander über dem Gestürzten und das angrenzende Land verteilt liegt,
die Weide endlich umzäunt ist und für die letzten fünf Meter kein Netz mehr da ist,
|248| das Aufstellen sehr schnell gehen muss, weil sonst die Schafe abhauen.
    Die Netze, die Sonja und Teddy damals aufstellten, kamen voll auf ihre Rechnung. Für sie war es das reine Glück, für die beiden
     der reine Horror und für die Schafe ein gar sonderbares Schauspiel. Doch irgendwann hatten sie es geschafft. Die neue Weide
     war fast fertig, jetzt schnell zwei Netze von der alten Weide eingesammelt und in die neue eingefügt, und alles würde gut
     sein.
    «Du hältst die Schafe in Schach, Teddy, während ich die Netze umbaue», schlug Sonja vor. Und so geschah es. Etwa eine Minute
     lang baute Sonja um, und Teddy hielt in Schach – dann waren die Schafe auch schon draußen.
    Es begann ein Kampf menschliche Intelligenz gegen schafische Instinkte. Menschliche Strategie gegen schafische Wendigkeit.
     Menschliche Multitasking-Fähigkeit gegen schafischen Herdentrieb. In sämtlichen Disziplinen haben die Menschen haushoch verloren.
     Am vernichtendsten fiel die Niederlage in der alles entscheidenden Schlussdisziplin aus: menschliche Nervenstärke gegen schafische
     Seelenruhe.
    Nach einer Stunde waren Sonja und Teddy nervlich und physisch am Ende, während die Schafe einen äußerst zufriedenen Eindruck
     machten und gleichmütig, als ob nichts gewesen wäre, vor sich hin grasten. Im offenen Gelände, auf halber Strecke zwischen
     alter und neuer Weide.
    Jetzt muss Sonja über sich selber lachen, wenn sie daran zurückdenkt. Jetzt, nach einigen Umsetzungen mehr, weiß sie, dass
     Schafe niemals kopflos wegrennen, wenn man sie nicht in Panik versetzt. Sie gehen nur ein paar Meter, dann senken sie die
     Köpfe ins Gras, und gut ist. Sie bleiben immer im Pulk. Wenn mal eines den Anschluss an die anderen verloren hat: ignorieren!
     Es wird bald bemerken, dass es allein und ungeschützt steht und flugs zur Herde |249| laufen. Jetzt weiß Sonja, wie leicht sich die Herde eigentlich in jede beliebige Richtung dirigieren lässt, wenn man die Ruhe
     bewahrt und nur vorsichtig ganz leichten Druck macht. Lass dir Zeit, und es wird schnell gehen, mach auf Stress, und du wirst
     den ganzen Tag brauchen. Das hat Sonja inzwischen gelernt. Aber damals   …
    Sie hatten die Schafe zum gefühlten zehnten Mal fast beim Eingang zur neuen Weide. Jedes Mal war die kleine Herde nach links
     oder nach rechts ausgebrochen und ins offene Land gerannt. Jedes Mal waren sie in großem Bogen um die Tiere herumgewandert
     und hatten sie, von weit her kommend, wieder Richtung Weide gescheucht. Jetzt sah es endlich gut aus! Das vorderste Schaf
     war nur noch fünf Meter vom Eingang entfernt. Wenn es nur noch ein klein wenig weiter   …
    «Langsam jetzt, Teddy», rief Sonja. Mit weit ausgebreiteten Armen, wie zwei lebende Vogelscheuchen, schritten die beiden Richtung
     Herde, die jetzt perfekt und genau zwischen ihnen und dem Eingang zur Weide stand. Ja! Ja, ja, das müsste diesmal klappen,
     die Tiere bewegten sich in die richtige Richtung. Aber da, verflucht, ein Schaf begann nach links abzudrehen. O nein, wenn
     ihm jetzt die anderen folgten, dann   …
    Das war der Moment, als Teddy die Nerven wegschmiss: Er machte ein, zwei, drei Ausfallschritte nach links in der Absicht,
     das Ausreißerschaf wieder nach rechts, Richtung Herde zu scheuchen. Es funktionierte prächtig. Das Schaf machte einen veritablen
     Bocksprung nach rechts und galoppierte los, mitten in die Herde hinein. Die Herde turnte den Bocksprung in fast perfekter
     Synchronizität nach und galoppierte ebenfalls nach rechts. Innerhalb von zehn Sekunden

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