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Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Titel: Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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verkrampftem Nacken, überlegte, wohin sich eigentlich die Wucht einer
     Explosion hauptsächlich ausbreiten würde. Nach oben, oder? Logisch. Ich war ja nicht direkt oben, sondern eine Deichsellänge
     vor der Egge – allerdings auf dem offenen Hürli ohne Kabine   … Also, nee, es half nichts, wenn da was losging, dann   … Ich versuchte, die Bilder aus meinem Kopf zu drängen, Bilder von roten Hürlimann-Blechteilen, die in Zeitlupe in den weiten
     Himmel Brandenburgs segelten, Bilder von einem tiefen Krater im Land, an dessen Rand eine schwarzverschleierte Sonja weinend
     zusammenbricht, an jeder Seite einen Sennenhund mit hängendem Kopf   … Quatsch, fertig Hollywood-Drama, weitereggen!
    Nach zwei Stunden hatte ich meine Eisenschleppe einmal über die ganze Fläche gezogen, und nichts war passiert. Die Angst löste
     sich langsam auf, ich entspannte mich, begann es zu genießen, dass ich das Land in Besitz nahm, indem ich es striegelte. Hochzufrieden
     stellte ich fest: Eigentlich war ich ein Held, ein Pionier, der unerschrocken sein Territorium erobert, todesmutig bereit,
     sein Leben zu geben für eine bessere Zukunft dieses Stückchens Erde! Schon wieder Hollywood, weg damit. Weitereggen!
    Als ich mit dem dritten Durchgang begann, der schon wesentlich leichter von der Hand ging – der Filz begann sich zu entflechten,
     die Tausende Hügelchen waren allmählich zerrieben, sodass die Fläche mit Recht als solche bezeichnet werden konnte   –, da verschwendete ich keinen Gedanken mehr an die potentielle Lebensgefahr. Der Mensch gewöhnt sich eben an alles   …
    Dafür lag meine Aufmerksamkeit jetzt bei dem, was die Egge, neben zahllosen Klamotten, aus dem Grasfilz herausgerissen hatte.
     Es waren zwar ungefährliche, aber hässliche und lästige Hinterlassenschaften |234| des Kriegshandwerks: vermoderte Gasmasken und Militärstiefel, Eisenrohre, Schnapsflaschen, Auto- und Flugzeugreifen. Und Drahtseile,
     Drahtseile, Drahtseile – die Überreste der Stahlnetze, die dazu gedient hatten, landende Jets, die aus irgendwelchen Gründen
     über die Piste hinausrasten, abzufangen. Und Kabel lagen da in der Grasnarbe. Kilometer von Stromkabeln, dicke, dünne, drei-,
     vier-, acht-, zwölfpolige, in Gummi, in Plaste, in Jute, in Teer. Ein Archiv der russischen Kabelproduktion 45 bis 89: Die
     Leitungen zu den unzähligen Lichtern und Funksendern der ehemaligen Pistenbefeuerung.
    «Ach, du Schande, da haben wir ja tolles Land gekauft», fluchte ich in mich hinein. Wenn da so viel Schrott war, wer weiß,
     was da noch an nicht sichtbaren Altlasten, an giftigem Sondermüll, die Erde kontaminierte? Wir zogen sofort etliche Bodenproben,
     schickten sie zur Analyse ein und warteten mit dumpfer Vorahnung auf das Ergebnis. Es war negativ: kein Blei, kein Altöl,
     keine Säure, kein Gift, nichts. Chemisch gesehen, war die Schrottwiese so sauber wie ein jungfräuliches Fleckchen Naturschutzpark.
    Für das Einsammeln des ganzen Kriegsmülls baten wir Teddy um Unterstützung. Er war allmählich auch für uns zum unverzichtbaren
     Helfer in jeder Lage geworden. Eine ganze Woche lang waren er und Sonja mit dieser Arbeit beschäftigt. Ich half, wann immer
     ich Zeit hatte. Es war anstrengend – und ungeheuer befriedigend. Jedes Teil, jedes Stück, von dem wir die Natur befreiten,
     empfanden wir als Sieg: Schwerter zu Pflugscharen. Statt vom Gedonner der Düsenjäger würde die Geräuschkulisse auf diesem
     von uns eroberten Land vom Blöken der Lämmer oder dem Muhen der Kälber geprägt sein. Ab jetzt und für alle Zukunft.
    Am letzten Tag, die Brache sah schon aus wie eine künftige Weide, da kratzte sich Teddy an seinem Stirnband, das er beim Arbeiten
     immer umgebunden hatte, damit ihm der Schweiß nicht |235| in den Augen brannte, und mit dem man ihn für einen fernöstlichen Samuraiheld hätte halten können. Er schlenkerte mit dem
     Kabel, das er gerade vollends aus der Erde gerupft hatte, und lachte. «He, Sonja! Wenn ich das vor 15   Jahren gemacht hätte – das Russenzeug aus dem Land reißen   –, ich wär in Sibirien wieder zu mir gekommen. Und nu mach ich seit Tagen genau dette, und passieren tut gar nichts. Ist das
     vielleicht geil!» Und mit geübtem Schwung schmiss er das Kabel in hohem Bogen auf den Anhänger zum anderen Schrott.
    Abends saßen wir mit ihm in unserer Küche und verleibten uns zufrieden ein Wiesen-Säuberungs-Abschluss-Essen ein. Teddy erzählte
     von früher, als er noch mit

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