Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht
Tieren zu tun hatte. Mit Schafen. Zu DD R-Zeiten ist er zusammen mit einem seiner Brüder durch die ganze Republik gereist. Der Bruder hat als Schafscherer gutes Geld verdient,
Teddy ist ihm dabei zur Hand gegangen. Sie haben damals auch selbst ein paar Schafe gehalten. Teddy beschrieb diese Minischäferei
in den schönsten Farben und meinte, er habe seither häufiger mal daran gedacht, sich wieder welche zuzulegen, aber ihm fehle
ja das Land, auf das er sie stellen könne.
Wir gestanden, dass wir auch schon an Schafhaltung gedacht hatten, uns aber nicht so recht trauten, da wir doch diesbezüglich
noch ganz unerfahren waren. So fügte es sich, dass wir mit Teddy kurzerhand eine Schafhalter-Gemeinschaft gründeten. Er würde
sein Wissen und seine Erfahrung beisteuern, wir Gerät und Land. Teddy versprach, sich gleich am nächsten Tag umzuhören, wo
man günstig eine kleine Stammherde Merinos oder Schwarzköpfe herbekommen könnte.
|236| Hanne
Der Oktober brachte neuen Schwung in das Projekt Frischmilch. Sonjas Mutter besuchte uns für einige Wochen. Hanne. Ich mag
Hanne sehr. Eine kleine, gemütliche Frau, die viel durchgemacht hat als Kriegskind und später, in den miefigen frühen sechziger
Jahren, als quasi alleinerziehende Mutter – ihr Mann war Ingenieur, baute Fernsehtürme und Kraftwerke auf allen Kontinenten
dieses Planeten und konnte praktisch nie bei seiner Familie sein. Eine Frau, die sich keine Illusionen mehr macht über das
Leben, aber diesem Leben dennoch immer das Beste abzuringen versteht. Eine Praktikerin, die genau weiß, wie es geht, und noch
genauer, was sie will.
Von ihrem Äußeren her würde man ihr so viel Kraft gar nicht zutrauen: Sie hat sich im Alter einige sehr weibliche Rundungen
zugelegt, lächelt freundlich in die Welt hinein und ist stets zu einem Schwätzchen bereit. Hanne wirkt wie ein harmlos gutmütiges
Weiblein, das wunderbar in jedes sonntägliche Kaffeekränzchen passt. Und sie ist, genau wie der selige Herr Schönemann – der
Herr, der bei Frau Widdel immer seine Zeitungen geholt hatte –, «alte |237| Schule». Sie achtet sehr auf eine gepflegte Erscheinung. «Ma muas scho a bisserl schaun, wie ma auschaut, gö?», pflegt sie
zu sagen.
Also: Sie sah zum Anbeißen aus, und sie war Witwe, sogar dreifache. Was jüngst einen ihrer Bekannten, einen pensionierten
Polizeipräsidenten, beim zweiten Rendezvous veranlasste, doch «a bisserl» nachzufragen, wie das mit den verstorbenen Gatten
der Hanne «denn genau gwesen is». Nach dem Verhör hatte sich der Pol. Präs. a. D. ein klares Bild der Ereignisse gemacht und
zugleich ein Problem aufgehalst, dem er sich als aufrichtiger Mensch, der er war, nicht verschließen konnte: Er hatte sich
leidenschaftlich in Hanne verliebt und bat sie, Ehemann Nummer vier werden zu dürfen. Aber das ist eine andere Geschichte …
Jeden Morgen, solange sie bei uns war, richtete Hanne sich sorgfältig die Frisur, zupfte ihre frischgebügelte Bluse zurecht,
schlüpfte in das zum Rock passende Jackett und machte sich in ihren stets glänzend polierten eleganten Schnürschühchen auf
ins Dorf. Was begonnen hatte als kleine Besorgung – «I hol nur a poa von diese Schrippn-Semmerln» –, weitete sich bald zu einer den ganzen Vormittag in Anspruch nehmenden Tour durch Amerika aus.
Zum Auftakt schwatzte sie in Frau Widdels Laden mit den alten alteingesessenen autolosen Amerikanerinnen, hörte dies von der
einen und das von der anderen, ließ sich die neuen Küchen ihrer neuen Freundinnen zeigen, fachsimpelte über das richtige Anlegen
von Gartenbeeten, nahm hier einen Kaffee und dort einen Saft … in null Komma nix wurde Hanne allenthalben über die Gartenzäune gegrüßt und war in ganz Amerika bekannt wie ein bunter Hund
und beliebt wie Frau Holle.
Eine besondere Vertrautheit entwickelte sich in jenem Herbst zwischen Hanne und Frau Widdel. Sie fand ihren Nährboden in der
Tatsache, dass Hanne in ihren jungen Jahren eine Lehre als Einzelhandelskauffrau absolviert und längere Zeit einen kleinen |238| Lebensmittelladen geführt hatte. Frau Widdel und sie waren also Kolleginnen. Zunächst unterhielten sich die beiden über die
Kundschaft – dies sehr, sehr ausführlich –, dann über die Eigenheiten des Einzelhandelskauffrau-Berufes im Speziellen und im Besonderen. Im Speziellen über die Last,
diesem Gewerbe ausgerechnet im kleinen Amerika nachgehen zu müssen, und im
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