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Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Titel: Was wir unseren Kindern in der Schule antun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sanbine Czerny
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sortiert diese Kinder durch den aufgezeigten Mechanismus aus und leistet von Anfang an Überzeugungsarbeit, dass diese Kinder einfach nicht so fähig sind wie andere. Diese Kinder seien eher „praktisch begabt“, heißt es dann. Dabei bräuchten diese Kinder nur Hilfe und Zeit, um grundlegende innere Haltungen zu erwerben. Dann wären sie ebenfalls dazu in der Lage, hohe Leistungen zu erbringen.
    Bildung entsteht durch Lernen und Üben, benötigt Zutrauen und Zeit. Bildungsgerechtigkeit würde bedeuten, dass die benachteiligten Kinder gegebenenfalls länger zur Schule gehen dürfen, um die gleiche hohe Bildung zu erhalten. Das Gegenteil ist der Fall. Diese Kinder verlassen oft nach neun Jahren das Schulsystem, während Kinder am Gymnasium drei, früher gar vier Jahre länger und kostenfrei lernen dürfen.
    Es ist bezeichnend, dass Kinder bei uns bereits im Alter von sieben, acht oder neun Jahren wissen, ob sie später das Abitur machen werden. Für Kinder aus privilegierten Elternhäusern ist das einfach selbstverständlich, wie bei Anna, die das große Ziel „Abi“ ja bereits bei der Einschulung auf dem T-Shirt trug.
    Als ich in einer dritten Klasse einmal fragte, wer später welchen Beruf ergreifen will, strahlte mich Martha mit ihren Zahnlücken an: „Ich möchte Tierärztin werden! Ich will mich so gern um Tiere kümmern und sie gesundoperieren!“ Kurze Stille, dann ein sehr klarer, desillusionierter Blick: „Aber nein, das ist nur ein Traum, mit meinen Noten komme ich auf die Hauptschule, werde Hartz-IV-Empfänger wie meine Eltern und werde bei anderen putzen.“

    Gerade Kinder aus nicht privilegierten Schichten müsste man nicht nur dort abholen, wo sie stehen, sondern auch dorthin führen, wo sie hin könnten.
    Die deutsche Sprache — ein komplexes Gebilde
    Bei Kindern mit Migrationshintergrund muss man stärker differenzieren. Nach meiner Erfahrung hängt es auch hier weit mehr davon ab, in welcher sozialen Schicht die Kinder aufwachsen. Dennoch haben es Kinder mit Migrationshintergrund, selbst wenn sie aus einer gehobenen sozialen Schicht kommen, meist schwerer als deutsche Kinder. Im Unterricht und beim Lernen zeigen sich bei vergleichbaren Kindern keine Unterschiede. Beide Gruppen arbeiten gut, können neu Erlerntes gut einbinden und darauf zugreifen. Die Erfahrungswelt von Kindern einer sozialen Schicht ist in etwa ähnlich, teilweise haben die Kinder mit Migrationshintergrund hier aufgrund der Erfahrungen in verschiedenen Kulturkreisen sogar Vorteile. In den Proben schneiden sie dennoch häufig schlechter ab, wenn sie die deutsche Sprache nicht so perfekt beherrschen wie ihre Klassenkameraden. Die Notwendigkeit Aufgaben zu stellen, die herausfiltern, welche Kinder die Anforderungen in besonderem Maße erfüllen, bringt es mit sich, dass oft Sprache als Mittel zur Selektion eingesetzt wird. So finden sich komplexere sprachliche Formulierungen, es werden Wörter verwendet, die nicht im alltäglichen Sprachgebrauch vorkommen, die einwandfreie Sprache in Rechtschreibung und Wortwahl wird bewertet. Kinder mit Migrationshintergrund verfügen oft über einen kleineren Wortschatz im Deutschen. Sie verstehen Texte daher teilweise weniger gut oder können sich nicht so präzise und gewandt ausdrücken. Da die Kriterien und die Verteilung der Punkte bei Proben aber sehr genau festgelegt sind, erzielen diese Kinder weniger Punkte und so schlechtere Noten. Damit gelingt auch der Übertritt auf eine weiterführende Schule seltener, da der nötige Notenschnitt nicht erreicht wird. Durchforstet man Probenstellungen verschiedener Jahrgangsstufen, wird man schnell fündig. Ein Beispiel zur Verdeutlichung (Aufgabe aus einer Deutschprobe, am Anfang der zweiten Klassenstufe):
    Wähle das passende Wort. Schreibe dann in korrekter
    Schreibweise: WIR GAREN ALLE/AALE.
    Richtige Antwort: Wir garen Aale.
    Welche Kinder wissen wohl, was das Wort „garen” bedeutet? Welche Kinder können die Worte „Aale” und „alle“ vom Wortbild ausgehend richtig aussprechen und die Bedeutung erkennen? Aber diese Aufgabe liefert die zwei Punkte, die für die Note „Eins“ nötig sind, eine weitere ähnliche sichert die Zwei. Die Drei genügt aber für den Übertritt aufs Gymnasium schon nicht mehr.
    Wissen sollte man auch, dass Kinder mit Migrationshintergrund nur mit

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