Was wir unseren Kindern in der Schule antun
noch von âvielâ abgefragt, zudem noch âtotâ â denn es muss ja Aufgaben geben, die deutlich machen, welche Kinder die Anforderungen in besonderem MaÃe erfüllen. An diesen Aufgaben scheitern nicht privilegierten Kinder dann meistens. Sie arbeiten nicht genau genug, sie verfügen nicht über den notwendigen Wortschatz. Daheim wird oft kein korrektes, lupenreines Deutsch gesprochen: âGrün â grüner â am grünstenâ wird umgangssprachlich sehr wohl formuliert, ist aber in der Probe falsch. Bei Farben gibt es keine Steigerung, Unterschiede werden mit Zusätzen deutlich gemacht: âhellgrün, maigrün, tannengrünâ.âViel â mehr â am meistenâ muss ein Kind aus seiner Sprachkompetenz schöpfen. Wirklich in besonderem MaÃe die Aufgaben erfüllen die Kinder, die bereits wissen, dass âtotâ oder ârundâ absolute Zustände sind, die nicht gesteigert werden. Sie können lediglich verdeutlicht oder überspitzt werden, mit Worten wie âmausetotâ oder âkreisrundâ. Die Kinder sind übrigens etwa acht oder neun Jahre alt, wenn sie diese Probe schreiben. Ob es für das gemeinsame Lernen wirklich hinderlich ist, wenn manche Kinder diese grammatikalischen Feinheiten nicht kennen?
Und die Komplexität der Inhalte ist dabei noch gar nicht mal das Problem. Diese Regeln müssten den Kindern einfach begegnen, sie müssten sie vermittelt bekommen und in Ãbungen vielfältig anwenden. Dann könnten sie das auch bald. Aber gerade das geschieht nicht, weil das ja sonst für die Proben auch
nur wieder Reproduktionsaufgaben wären. Für die Einser und die Zweier braucht es eben Aufgaben, die deutlich machen, wer âmehrâ kann. Und dieses âmehrâ können eben hauptsächlich Kinder aus privilegierten Familien. Diese Kinder bringen vieles schon mit, werden zu Hause unterstützt und können damit die gelernten Inhalte in der Schule ganz anders verinnerlichen als die Kinder, die noch nicht über ein Wissens- und Strukturnetz verfügen. Bei Kindern aus sozial benachteiligten Familien fehlen häufig nicht nur die Voraussetzungen, sondern auch die beständige Unterstützung für schulische Themen im Alltag. So prüft oft niemand die Hausaufgaben nach, und selbst wenn, werden die teilweise komplex formulierten Aufgabenstellungen und Inhalte nicht verstanden, häufig werden die Hausaufgaben unvollständig, ungenau oder fehlerhaft erledigt.
Die Heftkorrekturen des Lehrers bringen wenig â die meisten Kinder schauen sie sich nicht noch mal an. Auch bei der gemeinsamen Verbesserung in der Schule ist den Kindern oft nicht bewusst, wie wichtig Genauigkeit ist, ihnen genügt es zunächst, Grundprinzipien verstanden zu haben. Das würde für das weitere Lernen an sich auch genügen â aber eben nicht für gute Noten in den Proben. Im Unterricht fällt mir zudem öfter auf, dass benachteiligte Kinder die Inhalte in den diversen Fächern sehr gut verstehen, beispielsweise naturwissenschaftliche Themen, in Proben scheitern sie jedoch, weil sie sich nicht adäquat ausdrücken können oder bestimmte Begriffe nicht kennen. Die grundlegenden Probleme, die diese Kinder mitbringen â nämlich Defizite in der Sprache, beim Strukturieren und Kategorisieren â, wirken sich in allen anderen Bereichen gravierend aus. Das verstellt den Blick darauf, dass diese Kinder ansonsten ebenso interessiert, intelligent und verstehend am Unterricht teilnehmen wie die anderen.
Woran Kinderträume zerbrechen
Ein weiteres Problem ist, dass oft auch die Eltern dieser Kinder Vierer und Fünfer im Zeugnis hatten, und sie sehen den Lebensweg ihres Kindes ähnlich. âAus mir ist auch was gewordenâ, sagen sie. Die Akzeptanz geringer Bildung für ihre
Kinder ist für Eltern aus diesen Schichten oft normal. Dementsprechend begnügen sich auch die Kinder damit und trauen sich selbst dadurch häufig gar nichts mehr zu. Sie sind doppelt benachteiligt, durch ihre Herkunft und durch die Schule. Wenn hier nicht eine Instanz dagegenhält, ist der Lebensweg der Kinder vorgezeichnet.
Schule müsste sich zum Ziel setzen, gerade diese Kinder trotz der widrigen Startbedingungen zu hoher Schulbildung zu führen, und Eltern und Kinder davon zu überzeugen, dass alle Kinder lernen und Leistung bringen können. Unsere Schule aber
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