Was wir unseren Kindern in der Schule antun
Elternhäusern unfähig oder ungeeignet wären. Es trifft auch nicht zu, dass sie nicht leistungsfähig und intelligent wären. Ganz im Gegenteil, oft lernen sie verhältnismäÃig sogar mehr als privilegierte Kinder - das fällt nur bei der gängigen Leistungsmessung oft nicht auf. Um an der Regelschule in der geforderten Weise erfolgreich teilnehmen zu können, fehlen ihnen aber noch die dafür notwendigen Grundlagen: Erleben. Struktur. Sprache. Genauigkeit.
Sie haben diese wesentlichen Qualitäten noch nicht ausreichend ausbilden können. Es wäre Aufgabe der Schule, sich darum zu kümmern und ihnen die Zeit dafür zu geben, diese neben dem fachlichen Lernen stetig weiterentwickeln zu können. Das wäre durchaus möglich, wenn man den Kindern über Jahre hinweg eine niveauâ und anspruchsvolle Umgebung bietet. Aber genau das passiert nicht. Immer früher werden die Kinder getestet, das Ergebnis wird bewertet, Kinder werden aussortiert. Damit überhaupt jedes Kind eine Chance hat, müsste Schule anders gestaltet werden. Insbesondere müsste die Schule eben jedem Kind Zeit geben. Zeit, damit diese Kinder ihre Rückstände aufholen und einen Leistungsanspruch an sich selbst entwickeln können. Ansonsten könnte man auch noch früher selektieren, um die Weihnachtszeit herum in der ersten Klasse beispielsweise, oder auch schon im Kindergarten.
Aber die Zeit bekommen sie nicht. Im Prinzip werden also an unseren Schulen Entwicklungsstände beurteilt, und die Kinder werden nach Entwicklungsständen sortiert. Hier sind privilegierte Kinder klar im Vorteil. Sie können auf viele primäre Erfahrungen zurückgreifen, haben ein durchweg ansprechenderes Umfeld, meist mit vielen verschiedenen Spielsachen und Erfahrungsräumen um sich. Eltern, die gebildet sind, sich für Bücher und das Zeitgeschehen interessieren. Eltern, die gute Gespräche führen. Eltern, die die Ruhe und die Zeit haben, sich mit Themen und mit ihrem Kind auseinanderzusetzen. Kinder, die aus solchen Elternhäusern kommen, sind in der Regel besser entwickelt, stehen anders im Leben. Und genau das spiegelt sich in den Schulnoten wieder.
Betrachtet man jetzt noch Unterricht und Proben genauer, wird klar, warum Kinder aus sozial benachteiligten Familien in unserem Schulsystem kaum eine Chance auf höhere Bildung haben, warum sie weit seltener weiterführende Schulen besuchen. Sie schaffen den Ãbertritt gar nicht und erzielen auch sonst eher schlechte Noten. Denn der Unterricht an unseren Schulen setzt Erfahrungen weitgehend voraus und vermittelt diese nicht. Unsere Schule ist eine Paukschule, in der abfragbare Begriffe wichtiger sind als erlebte Erfahrungen. Schon in der ersten Klasse wird ein bestimmter Zeitraum vorgegeben, in dem Kinder bestimmte Inhalte lernen sollen, dann folgt die Probe. Ob Kinder die erforderlichen Voraussetzungen und Erfahrungen mitbringen, ist für die Beurteilung irrelevant. Mona, die vielleicht nach ein paar Wochen schon ohne an den Fingern abzuzählen bis zehn rechnet, erfährt bald, dass das nicht genügt. Die Klasse hat nämlich dann bereits Platzhalteraufgaben durchgenommen.
Bei den Proben wird alles noch deutlicher: Kinder aus sozial benachteiligten Familien sind oft froh, wenn sie in der Grundschule den Stoff erfasst haben, der im Unterricht durchgenommen wurde. Sie haben beispielsweise verstanden, wie Adjektive gesteigert werden: âgroà â gröÃer â am gröÃtenâ. Schon die Bezeichnungen âGrundstufe â Höherstufe - Höchststufeâ bereiten ihnen Schwierigkeiten, oft haben sie noch nicht erfahren,
wie entscheidend es häufig ist, sich präzise auszudrücken. Oft sind ihnen auch die Bezeichnungen sprachlich zu komplex, zudem fehlt ihnen der Einblick, warum bestimmte Begriffe überhaupt wichtig sind. Selten ist in diesen Familien ein Elternteil daheim, das diese Begriffe mit ihnen lernt, sodass die Kinder sie begreifen und dann auch wiedergeben und anwenden können. In der Schule werden die Begriffe ins Heft geschrieben, einige Male bei Ãbungen verwendet â und in der nächsten Probe abgefragt. In der Probe muss aber nun nicht nur die Steigerung des Wortes âgroÃâ gefunden werden, sondern als Reorganisationsaufgabe auch die des Wortes âaltâ. Das gelingt vielen auch noch. Dann aber wird die Steigerungsform von âgrünâ und auch
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