Was wir unseren Kindern in der Schule antun
fassen und aufzutauen, er braucht viele Sinneserfahrungen, um seinen Körper kennenzulernen, Zuwendung, Gespräche und viele bunte Erlebnisse. Bis er innerlich gefestigt und aufgerichtet ist, wird es Jahre dauern. Mona rechnet â2 + 2â noch mit den Fingern. Ihr fehlt eine innere Vorstellung über Mengen. Vielleicht wurde daheim nie mit ihr gezählt, nie ein Würfelspiel mit ihr gespielt. Wahrscheinlich hat sie relativ viel Zeit in einer eher dumpfen Umgebung verbracht, wahrscheinlich lief auch der Fernseher die meiste Zeit. Sie benötigt Anschauungsmaterial und: Zeit.
Zeit. Zeit, die man in unserem Schulsystem nicht hat. Schon die ersten Proben legen auf wenige ausgewählte Fähigkeiten Wert und vernachlässigen andere völlig. Nur in der Theorie dienen diese Proben der Diagnose von Lernschwierigkeiten, um die Grundlage einer Förderung zu sein. In der Regel sind sie ein Urteil.
Von den Ergebnissen in den Proben auf das Leistungspotenzial eines Kindes zu schlieÃen ist fatal â aber die Regel. In diesen Proben, die ja in der vierten Klasse relevant für den Ãbertritt auf die weiterführenden Schulen sind, wird die Leistung bewertet, die ein Kind in den Bereichen Deutsch, Mathematik sowie Heimat- und Sachunterricht zeigt. Dabei wird übersehen, dass ein Kind Fähigkeiten und Kompetenzen besitzen
muss, die es als Grundlage benötigt, um zu diesen Leistungen zu kommen. Und genau das ist der entscheidende Punkt: Für viele fachliche Inhalte benötigt ein Kind maÃgeblich das persönliche Erleben, die direkte Erfahrung. Zudem muss es über eine innere Struktur verfügen, um neu erworbenes Wissen gut an vorhandenes anknüpfen zu können, und um später wieder darauf zugreifen und es abrufen zu können. Der Austausch mit der AuÃenwelt erfolgt vielfach über Sprache. Wir reden, schreiben und lesen, verwenden Begriffe â all das kann nur der, der die Sprache beherrscht. Und zu guter Letzt sind noch der Wille und die Fähigkeit zur Ausrichtung auf ein Ziel und auf Genauigkeit notwendig.
Erleben. Struktur. Sprache. Genauigkeit. Kinder aus einem sozial benachteiligten Elternhaus haben nach meiner Erfahrung häufig gerade in diesen vier Bereichen Defizite, teilweise sehr groÃe. Einem Lehrer in der ersten und zweiten Klasse fällt das deshalb so auf, weil man bei den ersten drei Zeugnissen keine Noten schreibt, sondern Wortgutachten anfertigt. Diese geben nicht nur das Ergebnis wieder, sondern deuten zumindest noch teilweise an, welche Probleme hinter den Ergebnissen stehen. In diesen Wortgutachten nimmt man zu jedem Fach Stellung. So heiÃt es dann beispielsweise, hier stark verkürzt dargestellt: âMarkus sieht oft noch verträumt aus dem Fenster, häufig findet er seine Arbeitsmaterialien nicht. Die Hausaufgaben sind unvollständig. In Mathematik liest er die Aufgabenstellung nicht genau. Im Heimatâ und Sachunterricht drückt er sich nicht präzise genug aus. In Geschichten schreibt er einfache Sätze in unsauberer Schrift.â Bedauerlich, dass aktuelle Wesensmerkmale und Lernerfolge oft als zwei getrennte Felder gesehen werden, obgleich meines Erachtens das eine die Folge aus dem anderen ist.
Kindern aus benachteiligten Familien fehlt es am allermeisten an Struktur, an innerer und äuÃerer. Wann wird was wie getan? Wo gehört was hin? Welche logische Folge hat dieses und jenes Tun? Diese Kinder haben oft wenig Rituale und feste Zeiten erlebt. Sie sind eher sich selbst überlassen, es fehlen eingängige Regeln, Strafe und Lob folgen häufig keiner für die
Kinder nachvollziehbaren Logik. Viele dieser Kinder haben nie Gesellschaftsspiele mit ihren Eltern gespielt und dabei gelernt, sich an Folgen und Regeln zu halten, auch das Spiel mit Gleichaltrigen ist häufig durch den Fernseher ersetzt worden. In diesen Elternhäusern werden oft viel weniger Gespräche geführt, diese auch meist in eher reduzierter Sprache und nicht gleichberechtigt. Mit Alkohol, Zigaretten und ungesunder Ernährung sind diese Kinder oft deutlich stärker konfrontiert als andere. Einem Kind aus einem solchen Milieu fehlen häufig primäre Erfahrungen, Eindrücke und Erlebnisse, unter anderem auch, weil für vieles das Geld fehlt. Und meist fehlt auch ein Mensch, der sich regelmäÃig liebevoll und mit MuÃe einzig diesem Kind zuwendet.
Es ist einfach nicht so, dass Kinder aus sozial benachteiligten
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