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Was wirklich zählt, ist das gelebte Leben: Die Kraft des Lebensrückblicks (German Edition)

Was wirklich zählt, ist das gelebte Leben: Die Kraft des Lebensrückblicks (German Edition)

Titel: Was wirklich zählt, ist das gelebte Leben: Die Kraft des Lebensrückblicks (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Kast
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mich selber einzustehen.
    Ungefähr mit 35 litt ich an einer Depression, ich war sehr unglücklich in meiner Partnerschaft. Mein Motto war ein wehleidiges, es war vielleicht kein Motto, aber es war der Satz, den ich ständig laut oder leise vor mich hin sagte, wie ein Mantra: »Niemand liebt mich, alle wollen mich nur ausnutzen.« Dann ging ich in Therapie.
    Ungefähr mit 38 war die Therapie beendet. Auf dem Tisch wurde »Tue recht und scheue niemand« ersetzt durch: »An den Grenzen wird das Neue.« Spontan fällt mir jetzt aber ein: Wäre Schneewittchen bloß bei den Zwergen geblieben! Dann hätte ich keine schwierige Beziehung mit einem etwas eitlen Prinzen gehabt. Hätte ich nicht geheiratet, wäre ich nicht verlassen worden. Immer bei den Zwergen zu bleiben wäre wohl auch keine Lösung.
    Am 48. Geburtstag sagte das Tagebuch: »Man muss das Leben durchstehen, so übel ist es gar nicht.« (Das ist immer noch ein Satz aus der Therapie.)
    Am 58. Geburtstag stand da zur eigenen Überraschung: »Ich tue, was ich kann, (nicht was die anderen meinen, dass ich muss).« Soviel Überraschendes: ich genieße jeden Morgen.
    Und mit 69: »Die Abendsonne wärmt schön.« Und eben: »Ach wie gut, dass niemand weiß« …«
     
    Bei Klara wird das Sammeln von Lebensmottos zu einer wahren Leidenschaft (hier sind nur einige wenige angefügt). Sie versteht, dass für sie von Anfang an der Widerstreit zwischen Autonomie und Anpassung an andere Menschen ein wichtiges Thema ist. Sie versteht auch, dass sie kraftvoll überkompensiert hat mit dem Satz der Frauen aus ihrer Familie: Tue recht und scheue niemand. Vielleicht haben auch schon ihre Mutter und Großmutter ein ähnliches Problem gehabt. Interessant ist der Satz, den sie wie ein Mantra vor sich hin sagte: »Niemand liebt mich, alle wollen mich bloß ausnutzen.« Dieses Motto empfindet sie als »tödlich« – wenn man sich das ständig sagt, dann kann nichts Gutes mehr gesehen werden. So ist das Leben dann auch – schrecklich. Bei diesem Motto kann man sehen, wie gefährlich ein Lebensmotto werden kann, wenn es ausschließlich ist und keine Ausrichtung auf die Zukunft erlaubt. Sie sieht sich diesem Leitspruch entsprechend nur noch als ein Opfer.
    Mit dem Ausspruch »Ich tue, was ich kann, und nicht, was ich meine, dass die anderen von mir erwarten« hat sie sich auf die Seite einer bezogenen Autonomie geschlagen. Dennoch ist das Problem nicht ganz ausgestanden: Sie darf noch immer nicht dazu stehen, dass sie etwas wagemutigere, wildere, wenig angepasste Seiten hat. Sie darf sie aber immerhin im Geheimen leben. Solange sie eine so große Freude daran hat, wird sie auch nichts ändern. Die Gefahr, ein Leben, das auch gelebt werden könnte oder gelebt werden müsste, nicht zu leben, weil sie doch noch danach schielt, was die anderen denn sagen, könnte weiter bestehen.
Mottos als seelische Grundstimmungen
    So überschreibt eine etwa 70-jährige Frau die Sammlung ihrer Lebensmottos:
    Etwa bis zehn Jahre: »Ich will aber, ich will aber auch!«
    Etwa ab acht: »Es ist alles so schwer.«
    Etwa ab 13 (fromme Phase): »Nicht, wie ich will, sondern wie du willst.«
    Etwa ab 18: »Was liegt an dir? /Unsterblich duften die Linden.« Eigentlich das Gedicht von Ina Seidel als Ganzes. 38
    Etwa gleichzeitig war ein Goethe-Zitat wichtig: »Wie es auch sei, das Leben, es ist gut.«
    Ihr Kommentar: »Ich gab ihn dann auch einmal auf. So hilfreich er lange Zeit auch war, in seiner Absolutheit stimmt er so ja nicht.«
    Etwa ab 50 unter dem Eindruck einer sehr wichtigen Beziehung: »Unmöglich ist immer die Rose, / unbegreiflich die Nachtigall.«
    Ihr Kommentar: »Ohne Goethe, der ja so gut staunen konnte, geht es nicht!«
    Etwa gleichzeitig wegen der murrenden Gebeine:
    »Trotz dem alten Drachen« (aus dem Gesangbuchlied »Jesu meine Freude«). Hervorgehoben sind die für mich wichtigsten Aussagen, die noch besonderes Gewicht bekommen durch die Musik dazu. (Bachs gleichnamige Motette BWV 227)
    » Trotz dem alten Drachen, Trotz dem Todesrachen, Trotz der Furcht dazu! Tobe, Welt, und springe; ich steh hier und singe in gar sicherer Ruh. Gottes Macht hält mich in acht, Erd und Abgrund muss verstummen, ob sie noch so brummen .«
    Diese beiden letzten Mottos gelten bis heute.
     
    Eine Frau, die als junges Kind offenbar schon schwer am Leben trägt und dennoch mit einem großen Mut und Wille versucht, mitzuhalten. Eine Frau, die mit schweren körperlichen Beeinträchtigungen lebt – dennoch den

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