Was wirklich zählt, ist das gelebte Leben: Die Kraft des Lebensrückblicks (German Edition)
Perspektiven auf das Leben: Es wird ein gelebtes Leben sichtbar, das auch wichtig war. Gelegentlich führt dieses Vorgehen auch einfach zu einem spielerischen Umgehen mit der eigenen Lebensgeschichte.
Elternworte
Erinnern wir uns an Mutterworte? Vaterworte? An Aussprüche, die geflügelte Worte waren? Wo sind sie geblieben?
Ich ärgerte mich wieder einmal darüber, dass ich zu großzügig war, mich ausgenutzt fühlte, da sagte die Mutter: »Ach, gräme dich doch nicht – aus einem Guten kommt am Ende doch wieder etwas Gutes.« Das ist ein Muttersatz, über den ich oft nachdenke und mich frage, ob er wirklich stimmt. Beruhigend jedenfalls ist er, aber vielleicht auch ein wenig gefährlich: Ich müsste wohl doch etwas genauer darüber reflektieren, ob ich mir jeweils diese spezielle Großzügigkeit auch erlauben kann.
Solche Mutterworte, Vaterworte, Großmutterworte, Lehrerworte klingen uns noch lange nach. Es können offene Worte sein, die eine Lebenshaltung ausdrücken, wie der Satz meiner Mutter, der in mir immer noch lebendig ist. Es können aber auch Sätze sein, die wesentlich einengender sind und die festlegen wollten, wie man denn war, oder wie man zu sein hatte: »Du musst auch immer das letzte Wort haben« – mit einer vorwurfsvollen Emotion ausgedrückt wird deutlich, dass man nicht in Ordnung ist, nichts stehen lassen kann, vielleicht sogar unfreundlich ist. »Mädchen die pfeifen, Hühnern, die krähen, soll man beizeiten den Hals umdrehen.« Was für ein Frauenbild wird da – wohl unbewusst – tradiert! Und was ist mit der Lebensfreude, die im Pfeifen liegt? Dürfen nur Jungen diese Freude haben? Mutter- und Vaterworte sind oftmals voller Misstrauen gegenüber der Freude: »Vögel, die morgens singen, holt abends die Katz!« »Freu dich bloß nicht zu früh, der Ernst des Lebens holt auch dich ein!« – So früh schon kann einem die Freude verdorben werden, auch etwa mit dem Satz: »Ordnung ist das halbe Leben, Ordnung spart dir Zeit und Müh.« Das Leben bändigen, bloß kein Chaos. Natürlich spart Ordnung uns Zeit und Müh – aber darauf sollte man wohl selber irgendwann kommen. Manche dieser Worte sollten trösten, tun sie es aber auch?
»Es kommt nicht auf das Aussehen an, sondern auf das gute Herz«. Heißt das für ein Kind, dass es hässlich ist? Unansehnlich? Und dass man, falls man das wäre, unbedingt ein gutes Herz entwickeln muss? Und wenn man gerade rabenschwarze Gedanken hat, die ja auch zu einem gehören? Und was ist, wenn man sich nicht schön fühlt und auch kein gutes Herz hat?
Diese Mutterworte und Vaterworte zu erinnern und sich zu fragen, was wir denn mit ihnen gemacht haben, führt uns mitten in unsere Lebensgeschichte. Hatten diese Worte einen bestimmenden Einfluss auf unser Leben? Waren es Leitplanken? Gebote? Haben wir sie übernommen als Leitsätze, mit denen wir die nächste Generation bedacht haben? Haben wir über diese Worte reflektiert – und wenn sie uns eingeengt haben, haben wir sie über Bord geworfen? Diese Mutter – und Vaterworte zeigen uns auch, woher wir kommen, wie bei uns zu Hause gedacht worden ist. Vielleicht stammen diese Worte von den Großeltern, den Urgroßeltern? Das kann man herausfinden, wenn sie noch leben. Werden sie von Generation zu Generation weitergegeben? Und ist es vielleicht an der Zeit, einmal darüber nachzudenken – auch über die Wirkung, die diese Sätze in der Familie hatten?
Natürlich findet unsere Lebensgeschichte von Anfang an in einer kulturellen Umgebung statt, in einer Umgebung mit Lebenshaltungen, die wir mit der Muttermilch einsaugen und die anhand solcher erinnerten Mutterworte bewusst gemacht werden können. Wenn sie uns bewusst sind, können wir verstehen, wie sie uns geprägt haben und wir können uns entscheiden, ob sie für uns weiter gültig sein sollen oder auch nicht.
Manche dieser Elternworte sind ganz und gar nicht harmlos.
Ein etwa 70-jähriger Mann erinnert sich an einen Spruch, den sein Vater ihm immer wieder auf Karten geschrieben hatte: »Üb immer Treu und Redlichkeit bis an dein kühles Grab, und weiche keinen Finger breit von Gottes Wegen ab.« Als Junge gefiel ihm dieser Spruch sehr. Er interessierte sich dafür, wie man denn Gottes Wege erkennen könne. Ein Pfarrer machte ihn mit den zehn Geboten als den »Wegweisern auf Gottes Wegen« vertraut. Von da an prüfte der Junge immer wieder, ob sein Verhalten den zehn Geboten entspreche und entwickelte ein außerordentlich empfindsames
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