Was wirklich zählt, ist das gelebte Leben: Die Kraft des Lebensrückblicks (German Edition)
Lebensabschnitt, der zu Ende geht, wird belebt, man holt ihn in die Erinnerung zurück – etwa wenn das letzte Kind das Haus verlässt, wird noch einmal die Kinderzeit erinnert, unter dem Aspekt der Wehmut – und daher wird auch vieles ausgeblendet. Die Zeit, die zu Ende geht, wird idealisiert oder entwertet, manchmal auch recht realistisch eingeschätzt. Wir erklären uns selbst, wie der Abschnitt war, von dem wir uns verabschieden. Das geht leichter, wenn es sich um ein klares Vorher und Nachher handelt und etwas schwieriger bei fließenden Übergängen, die es einem ermöglichen, sich vorzumachen, dass sich nichts Substantielles verändert habe.
In Metaphern erklären wir uns selbst, welchen psychischen Prozessen wir ausgesetzt sind. Im Finden von neuen Metaphern kann man auch herausfinden, wohin denn das Leben gehen könnte. Leicht lässt sich imaginativ mit verschiedenen Metaphern spielen.
Beim Lebensrückblick werden Lebensübergänge, die bewusst als Übergang reflektiert und emotional nachvollzogen worden sind, oft recht genau erinnert – und auch bewertet. Hat man die gute »Abzweigung« im Lebensweg genommen oder eine falsche Richtung eingeschlagen? Das wissen wir oft viel später – und vielleicht ist es etwas ungerecht, eine Entscheidung so ganz und gar als falsch einzustufen. Was wissen wir denn schon, was eine der anderen Optionen uns für Schwierigkeiten bereitet hätte? Metaphern können hilfreich sein.
Der Kopf des Unternehmens
Ein 64-jähriger Mann meint, er müsse dringend etwas in seinem Leben verändern. Er zeigt Symptome von Stress: Er schläft schlecht, ist unkonzentriert, gereizt, müde, alles wird ihm zuviel. Jede Anfrage in seinem Geschäft – er besitzt ein Unternehmen, das er selber führt, – ärgert ihn und erlebt er als eine Zumutung. Das beunruhigt sowohl ihn als auch seine Mitarbeiter.
»Ich war immer der Kopf des Unternehmens – ist ja auch mein Unternehmen – ich muss denken, planen – ausführen tun es die anderen, dann muss ich aber wieder kontrollieren, alles im Auge behalten.«
»Ich war immer der Kopf des Unternehmens« – wenn man sich diese Metapher bildlich vorstellt – wie sieht das denn aus? Er stellt sie sich vor und spricht über seine Vorstellung:
»Ich schwebe als Kopf über all den anderen, und die sind dann Körper.«
Andere hätten vielleicht auch Köpfe. »Soweit ich es erlaube!«, meint er dazu. Wir lachen.
Dieses Bild macht ihn nachdenklich. Zunächst beschäftigt ihn, dass er sich als Kopf bezeichnet und den Körper außen vor lässt. Das beschäftigt ihn auch, weil er gerade spürt, dass sein Körper »nicht mehr alles mitmacht.«
Es passt dem 64-Jährigen, »Kopf« zu sein – er muss »Kopf« sein und er möchte auch »Kopf« bleiben. Aber eigentlich möchte er »eine etwas ruhigere Kugel schieben«, »vielleicht sogar auf der faulen Haut liegen«, »die Seele baumeln lassen«. Das passt jedoch nicht zusammen: »Als Kopf bin ich ständig da, alert, unter Strom, ich plane, überlege, kontrolliere – Seele baumeln lassen – schön wär’s.«
In Metaphern ausgedrückt ist hier ein typischer Konflikt an einem Lebensübergang: Was gut war – es war ja offenbar gut, Kopf zu sein – ist jetzt nicht mehr angemessen. Was gewünscht wird, die Sehnsucht, widerspricht dem Bild, das er bisher von sich gehabt hat. Er reagiert mit Wut und wohl auch mit Angst, die er mit der Wut abwehrt. Die Labilität, die mit Lebensübergängen verbunden ist, wird erlebt – und alte Themen, die für das eigene Leben wichtig sind, werden wieder aktualisiert.
Der Unternehmer erzählt, wie er sich, aus armen Verhältnissen stammend, langsam und stetig hochgearbeitet hat, sich nichts gegönnt hat und »auf einem grünen Zweig« angelangt ist – und jetzt nicht mehr mag. Er versteht: Wenn er nicht die Kontrolle über das Ganze hat, dann steigt die Angst in ihm auf, er könnte wieder arm werden. Natürlich weiß er, dass diese Angst in diesem Ausmaß unrealistisch ist, dennoch ist sie vorhanden. Es ist aber nicht nur die Angst vor der Armut von früher, es ist auch die Angst vor dem Tod: Den Tod kann er nicht kontrollieren.
Er sinniert: »Wären wir zu Hause (in der Herkunftsfamilie) nicht so arm gewesen, wäre ich Künstler geworden. Ich kann immer noch sehr schön malen. Ich habe es nicht mehr gemacht in den letzten zehn Jahren. Was habe ich alles geopfert in den letzten Jahren: Früher habe ich tagelang gemalt, bin mit meiner Frau durch Museen gestreift, habe
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