Was wirklich zählt, ist das gelebte Leben: Die Kraft des Lebensrückblicks (German Edition)
Sommer, den Duft der Linden erleben kann.
Mutiger Trotz, Relativierung der eigenen Bedeutung durch das Einschwingen in den Rhythmus des Lebendigen, – in einem frühen Alter, mit etwa 18, eingebettet in dieses Gedicht. Dies bringt zwar zum Ausdruck, dass wir alle sterblich sind und uns auch nicht zu viel auf uns selber einbilden sollten, gleichzeitig jedoch auch, dass man, solange man auf dieser Welt ist, am blauen, leuchtenden Sommer, am Duft der Linden, Anteil hat. Dankbares Staunen über alles, was dennoch auch im späteren Leben noch möglich, noch neu erfahrbar ist und wiederum: Trotz …
Auffallend ist an dieser Suche nach Lebensstimmung, dass wohl kein einziger Muttersatz, kein einziger Vatersatz dabei ist: Da ist von Anfang an ein Kind, das selber will – und sich dadurch wohl auch gelegentlich überfordert hat.
Wie wird eine solche Suche nach Lebensmottos erlebt? Die Antwort dieser Frau kann natürlich nicht generalisiert werden, scheint mir aber dennoch für viele zu stehen:
»Als ich einmal begonnen hatte, und am Anfang war es gar nicht leicht, dann begann es zu sprudeln, und es sprudelt noch. Zu den einzelnen Zeitabschnitten kamen mir verschiedene Mottos in den Sinn, mit der Zeit aber verschwanden einige. Es scheint so zu sein, dass die Dominierenden bleiben. Dass ich mir meist Sätze aus der Literatur ausgeliehen habe, ist eigenartig – oder doch nicht? Ich habe ja eine große Liebe zur Literatur.«
»Es begann zu sprudeln, und es sprudelt noch …« Das ist es, was ich mit diesen Anregungen auslösen möchte: Die Erinnerungen sollen sprudeln, einige nimmt man mit, andere lässt man wieder fallen. Lässt man es weiter sprudeln, dann wird alles viel komplizierter. Da kann man dann nicht mehr einfach einen Zeitpfeil benutzen, sondern es wird Zeitpunkte im Leben geben, die eher als Spiralen darzustellen wären. Da wird dann auch sichtbar, wie man sich etwa in einer Krise gefühlt hat, aber auch, wie sich das Leben durch die Krise verändert und danach angefühlt hat: Es werden Knotenpunkte des Lebens sichtbar.
Die Idee, Texte aus der Literatur zu übernehmen, samt der dazugehörigen Musik, finde ich anregend. Gerade das Gedicht »Trost« von Ina Seidel war für eine bestimmte Generation sehr wichtig. Für andere Generationen mögen andere Texte dieselbe Lebenserfahrung ausdrücken. Unsere Biografie ist nie nur unsere persönliche Biografie, es ist immer auch eine kulturelle Biografie. Gerade Biografiearbeit zeigt, wie unser Leben in einer Atmosphäre von Kultur stattfindet. Kultur ist wie selbstverständlich immer da, wie die Luft zum Atmen. Sie beeinflusst unser Leben in einem hohen Maße.
Diese Suche nach der Lebensstimmung im Laufe des eigenen, gelebten Lebens regt natürlich auch an, die Lebensgeschichte mit den Lieblingsgedichten, den Lieblingsliedern, der Lieblingsmusik und den Lieblingssongs zu illustrieren. Das könnte es ermöglichen, die seelischen Grundstimmungen im Laufe des Lebens zu fassen. Knotenpunkte des Lebens werden erinnert – Verknotungen werden sichtbar, Knoten können aber auch neu verknüpft werden.
Ein Mann, 72, wunderte sich, dass die Frauen so viele Mottos erinnerten.
Das erste Motto, an das er sich erinnern konnte, war: »Mich wirft keiner zu Boden – ich bin stark.« Das war ein Motto bis etwa 13, dann wurden auch andere stark:
»Dann war ich in einer Gruppe, in der man sich geliebt hat. Das Motto war: »Wir lieben uns, wir kämpfen nicht.« Das war aber kein persönliches Motto, das hatte ich nur übernommen. Das passte nicht so recht, aber es hat mir geholfen, zu verstecken, dass ich mich nicht auseinandersetzen mochte.
Rekrutenschule: »Was mich nicht umbringt, macht mich stärker.« Das war ein Hilfeschrei – eigentlich. Aber ich habe es überlebt.
So mit 50: »Überleben genügt nicht, ich möchte leben.« Das ist ein Motto, das in irgendeiner Stadt an einer Wand stand. Dieses Motto gefällt mir immer noch.
Ich glaube, ich habe insgeheim immer noch das Kindermotto: »Mich wirft keiner zu Boden, ich bin stark.« Vielleicht brauche ich doch noch ein neues fürs höhere Alter? Der Tod wird mich zu Boden werfen.«
Ein Leben in Metaphern: Grundzüge unserer Persönlichkeit
Metaphern spielen beim Lebensrückblick eine zentrale Rolle. Denn sie sind bildhafte Formulierungen, die etwas Psychisches zum Ausdruck bringen. Dabei wird ein sinnlicher Ausdruck von der üblichen Verwendung auf einen anderen, existentiellen Sachverhalt übertragen:
So
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