Was wirklich zählt, ist das gelebte Leben: Die Kraft des Lebensrückblicks (German Edition)
sprechen wir etwa vom Abend des Lebens, übertragen die Idee von Tag – Abend – Nacht usw. auf das Leben eines Menschen. Oder wir sagen: »Ich dümple im Moment so vor mich hin.« Wenn wir uns diesem Bild überlassen, und nicht einfach bei der sprachlichen Figur verweilen, dann sehen wir ein Boot vor uns, das keine Fahrt aufnimmt: vielleicht ein Segelboot, ohne Wind in den Segeln, das sich zwar bewegt, aber eben nur hin und her, nicht vor und zurück. Oder aber wir sagen, dass uns jemand »Wind aus den Segeln« genommen hat, oder aber, wir fahren gerade »unter vollen Segeln« ….Was wir mit diesen Metaphern ausdrücken, sind psychische Befindlichkeiten, die wir so und nicht anders gut ausdrücken können. 39
Bindungsmetaphern
Es fällt uns in der Regel nicht auf, wie oft wir den Begriff des ›Fadens‹ und den damit verbundenen Begriff des ›Bindens‹ im Alltag gebrauchen, vor allem natürlich im Zusammenhang mit menschlichen Bindungen.
Da fädelt man zunächst einmal eine Beziehung ein. Der Faden zwischen einzelnen Menschen reißt dann aber doch immer wieder ab, obwohl man schon einmal Kontakte geknüpft hat. Oder aber man fühlt sich aneinander gebunden, verwickelt sich, oder und geht dann eine verbindliche Beziehung ein, schließt etwa den Bund fürs Leben. Manchmal hängt dann dennoch die Beziehung an einem dünnen Faden, oder der eine oder die andere hält alle Fäden in der Hand. So fühlt man sich dann gebunden – oder eben ungebunden.
Über Bindung, über Verbundenheit und Liebe sprechen wir oft mit den Metaphern des Fadens. Dahinter steht die Idee eines Gewebes, ein Symbol für das Leben als Ganzem, zusammen mit anderen Menschen. Aus der Mythologie kennen wir die Nornen, die sich mit dem Lebensfaden des Einzelnen beschäftigen: Klotho ist die Spinnerin des Lebensfadens, Lachesis erhält ihn durch alle Wirrnisse des Lebens hindurch, und Atropos (die Unabwendbare) zerschneidet den Lebensfaden beim Tod.
Lebensübergänge in Metaphern
Metaphern bündeln Erinnerungen. Wenn man diese Bildfelder als Bilder ernst nimmt und sich imaginativ damit beschäftigt, werden Emotionen angeregt: Abstrakte Ideen werden dabei viel sinnlicher und berühren uns daher auch sehr viel mehr. Es ist eine kognitive, imaginative und emotionale Vorstellung. Das ermöglicht es uns, eine nähere Beziehung zu uns selbst und zu unserem Leben herzustellen, was ja unter anderem auch der Sinn der Biografiearbeit ist.
So, wie etwa ein 96-Jähriger klagt, er sei sein Leben lang immer »eine Lokomotive« gewesen, und das mache ihm das Leben im Altersheim nun sehr schwer. Denn jetzt sei er eben keine richtige Lokomotive mehr, sondern höchstens noch eine Lokomotive auf dem Abstellgleis. – Auf diese Weise suchen auch viele andere Menschen Metaphern für ihr Leben. Mit einer solchen Aussage, einer Selbstdefinition, wird das Leben eines Menschen in ein ganz bestimmtes Feld hineingestellt und es wird deutlich, wie dieser Mensch sich zumindest in gewissen Situationen verstanden hat und auch verstanden werden will. Es wird aber auch deutlich, welche Schwierigkeiten mit dem Alter verbunden sein können.
Was fällt den anderen spontan ein? Ein Mann sieht sich in der Rückschau als »Bremsklotz« und fügt gleich an, dass dies aber manchmal auch gut sei. Eine Frau bezeichnet sich als »Antidepressivum«, als »Aufputschmittel« – und die Anwesenden bestätigen ihr, dass sie das immer noch sei. Sie fügt bei, das habe sie als Kind gelernt, sie habe eine depressive Mutter gehabt, und sie, als ihr Sonnenschein, habe sie etwas aufheitern können.
Wiederum eine andere Frau bezeichnet sich nachdenklich als »Löschhütchen« – und erwartet, dass die anderen diesen Ausdruck nicht kennen. Sie versteht es noch immer meisterhaft, bei ihren Mitmenschen jede Begeisterung zu löschen, vergleichbar einem Hütchen aus Metall, mit dem man eine Kerze löscht.
An Lebensübergängen werden Veränderungen sichtbar: Die Selbstdefinition, die bis jetzt gültig war und mit der man sich identifiziert hat, scheint nicht mehr ganz richtig zu sein. So sagt der 96-Jährige, er sei höchstens noch »eine Lokomotive auf einem Abstellgleis«. Offenbar konnte er sich aber recht lange mit dieser Metapher der Lokomotive identifizieren.
Mit dem Lebensrückblick beschäftigen sich Menschen jedoch oft schon in jüngeren Jahren, besonders, wenn sie sich als an einem Lebensübergang stehend erleben – ob dieser nun als krisenhaft erfahren wird oder auch nicht. 40
Der
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