Wasdunkelbleibt
Kröger nickte und balancierte seinen Kaffee über den Korridor davon zu seinem Büro. Nero fühlte den fast unbesiegbaren Wunsch, mit dem Fuß gegen den Kaffeeautomaten zu treten.
14
Auf einem seiner Streifzüge durch München saß Bastian im aran in der Theatinerstraße und starrte in seinen Cappuccino. Er kam nicht zurecht ohne die Trips durch die Stadt, hinaus in die wirkliche Welt. Nicht, um die Bodenhaftung zurückzugewinnen, sondern weil ihn sein eigenes Treiben mitunter erschreckte. Es schockierte ihn, wie leicht es ihm gelang, in Sicherheitslecks vorzustoßen und Profit daraus zu schlagen. Er beutete niemanden aus und nahm kein Geld. Er entdeckte die Lecks, gab sie der Firma bekannt, indem er dort anrief und seine Geschichten abspulte. Entweder formulierte er klare Anweisungen, was getan werden konnte, um das Problem zu beheben, oder er teilte mit, wo sich der Einstieg befand. Wenn er Tage später nachprüfte, stellte er fest, dass die Unternehmen das Loch gestopft hatten.
Soweit, so gut.
Neben ihm saß eine Frau. Sie biss hungrig in ihr Brot. Es war mit einer gelben Paste bestrichen.
»Das riecht verdächtig nach Curry«, sagte Bastian.
Sie lächelte. Sie kamen ins Gespräch. Pia Stein war Redakteurin beim Münchner Merkur. Aus irgendeinem Grund gab sie ihm ihre Visitenkarte.
Einen Monat später, das war kurz nach seinem 16. Geburtstag, rief Bastian sie an.
»Ich habe ein Elektronikunternehmen gehackt. Ich weiß alles über Preisabsprachen, Marktanteile. Echte Zahlen. Nicht öffentlich.«
Pia Stein schwieg kurz.
»Und jetzt?«, fragte sie schließlich.
»Das ist ein Global Player. Aus Asien.«
Pia Stein sagte nichts.
»Ich kann genau beschreiben, wie ich ins System gekommen bin. Sie bekommen eine Mail von mir. Aber veröffentlichen Sie noch nichts. Wir geben den Jungs 72 Stunden Zeit, das Sicherheitsleck in ihren Datenbanken zu schließen.«
Pia Stein wartete auf Dv 0 ttnys Mail. Anschließend rief sie bei dem Unternehmen an und schilderte, was sie hatte.
Der Artikel im Merkur erschien drei Tage später. Dick aufgetragen.
Bei seinen nächsten Angriffen ging Dv 0 ttny genauso vor. Er suchte die Schwachstelle, bohrte ein bisschen im System herum und trug seine Erkenntnisse zusammen. Mit einem 10-Minuten-Mailaccount schickte er alles an Pia Stein. Die Journalistin nahm Kontakt mit den Geschädigten auf. Üblicherweise war man Dv 0 ttny dankbar, dass er das Leck entdeckt und damit die Sicherheit der Firma aufgerüstet hatte.
Doch dann liefen die Dinge aus dem Ruder.
Dv 0 ttny drang in das Intranet einer großen Verlagsgruppe ein. Er überprüfte Datenbanken, kam an Mailadressen und Kontodaten von Autoren. Es waren Namen dabei, die er kannte. Große Namen. Politiker, die ihre Memoiren in der Verlagsgruppe veröffentlicht hatten und nun in Konsortien in der Energiewirtschaft oder Bauindustrie hockten. Sogar ausländische ehemalige Präsidenten und Premierminister. Dv 0 ttny kannte die Höhe der Tantiemen, die Auflagenstärke, die Garantiehonorare. Er spürte auf, wie viele der hochgehandelten Werke nach einem halben Jahr verramscht wurden, weil die Kunden sie nicht kauften. Fand heraus, dass dahinter Kalkül steckte. Er entdeckte sogar eine Datei, in der gute und schlechte Kritiken zu einzelnen Büchern verwaltet wurden. Er saß vor seinem Rechner und lachte sich einen Ast. Sein Fund bestätigte ihm, was er sich zuweilen beim Gang durch die Buchhandlungen gedacht hatte: Hier wurde mit Pfunden gewuchert, deren Halbwertszeit bei weniger als einem Jahr lag. Der Glanz prominenter Leben, der in einem Buch noch einmal aufscheinen sollte, verblasste schneller, als es die Millionen Euro und Dollar, die in der Glitzer- und Glamourwelt den Besitzer wechselten, glauben machten.
Dv 0 ttny blieb ein paar Wochen auf Achse und spielte mit seinem Fund. Mit Hilfe der abgegrabenen Geburtsdaten gelang es ihm, den Mailaccount eines ehemaligen Ministers zu hacken. Manche Menschen waren so fantasielos, dass sie ihren Geburtstag als voreingestelltes Passwort nie änderten. Dv 0 ttny kam an Informationen, dass ihm die Augen tränten. Er kriegte Panik. Wahrscheinlich hätte er seine Spuren verwischt und eine längere Pause eingelegt, wenn Pia Stein ihn nicht zufällig angerufen hätte.
»Lange nichts gehört. Gibt’s was Neues?«
Bastian war absolut unerfahren im Umgang mit der Presse. Er vertraute der Journalistin, ohne sich um deren Beweggründe für ihr starkes Interesse an seinen Aktivitäten zu scheren.
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