Wasdunkelbleibt
Schwabings, zwischen Schickis und Mickis. Ich mit zwei Graugänsen in der Einsamkeit. Aber so lauteten nun mal meine Bedingungen.
Im Vorgriff auf den heutigen Abend musste ich planen. Außerdem brauchte ich etwas für meine eigene gute Laune. Ich rief Claude-Yves an.
Er jubilierte. »Was darf’s sein? Eine scharfe Bouillabaisse? Überbackene Tomaten mit Speck als Starter? Oija aus Tunesien mit Würstchen? Und zum Abschluss Bananenpfannkuchen? Den Mokka müsst ihr euch selber brauen.«
»Pack mir das ganze Tagesmenü zusammen«, bat ich ihn. »Ich hole alles ab.«
Kurz nach 20 Uhr rauschte ich, bepackt mit Claude-Yves’ Köstlichkeiten, zurück in meine Einsamkeit. Neros Volvo stand vor meiner Tür. Der Kombi aus sicherem Schwedenstahl erinnerte mich daran, dass ich immer noch keine Winterreifen hatte aufziehen lassen. Ich hielt vor dem Schuppen, der kein Carport geworden war, weil ich Carports für bescheuerte Erfindungen von übersättigten Wohlstandsbürgern hielt, die im 20. Jahrhundert stecken geblieben waren. Ich stieg aus, öffnete den Kofferraum und griff nach der Tüte mit den Essenscontainern.
»Nero?« Er musste schon im Haus sein. In der Küche hatte ich das Licht angelassen. Warm sah mein Zuhause aus. Ein perfekter Ort, um sich den Winter über einzumotten und nicht gesehen zu werden. Außer von ein paar Klienten, die ruhmsüchtig ihre Biografien schreiben ließen. Aber wer war ich, dass ich meine Kunden eines überzogenen Geltungsbedürfnisses bezichtigen durfte!
Merkwürdig, Waterloo und Austerlitz rührten sich nicht. Normalerweise stürmten sie schnatternd zur Begrüßung an den Zaun ihres Auslaufes. Ich stellte die Tüte vor der Haustür ab und steckte den Schlüssel ins Schloss. Ein Schatten trat aus der Dunkelheit.
»Hallo, Kea!«
»Um Gottes willen, hast du mich erschreckt!«
»Du bist aber empfindlich!« Nero sah vorwurfsvoll drein. »Ich habe deine Gänse ins Bett gebracht.«
Er trug einen zerknitterten Cordanzug, was nichts Gutes verhieß. Ich biss mir auf die Zunge. Bloß keine Kritik jetzt.
»Entschuldige«, brachte ich heraus. »Ich bin einfach erschrocken. Ich dachte, du wärst schon im Haus.« Rasch schob ich die Tür auf, schnitt wütende Grimassen ins Dunkel hinein, während ich versuchte, meine Stimme ruhig klingen zu lassen. »Ich war im Méditerranée und habe uns was zu essen geholt.« Schwungvoll setzte ich die Tüte auf die Küchenbar. »Wollen wir gleich essen?«
»Okay.«
»Sieh an! Claude-Yves hat mir sogar eine Flasche Chianti in die Tüte getan!«
»Der Maître de Cuisine scheint große Stücke auf dich zu halten.«
Ich lachte. »Am meisten auf sich selber, vermute ich. Er ist der Meinung, seine Rezepte-Biografie wird ihm von den Kunden aus der Hand gerissen.«
»Ist er eigentlich verheiratet?«
»Geschieden.«
»Ach.«
»Ja, das passiert ab und zu, dass Paare sich scheiden lassen.« Uups, das hatte etwas zu schnippisch geklungen. Ich verstand selbst nicht, warum ich plötzlich so gereizt war. Ein Abend allein mit Claudes Essen und der Chianti-Flasche würde mir mehr zusagen, ganz ehrlich. Irgendwas an Nero machte mich aggressiv. »Aber er ist wieder auf der Pirsch und hat was mit einer Frau laufen. Wie geht’s dir?« Ich reichte Nero Teller und Besteck. Er deckte, suchte die Weingläser raus.
»Geht so.«
»Nervt Woncka dich?«
»Ach, Woncka!« Nero zuckte die Achseln. Plopp – der Korken rutschte aus der Weinflasche. »Hm, das ist ein besonderer Stoff.« Er schnupperte am Chianti. Irgendetwas nagte an Nero, und es ging mir auf den Geist, dass er nicht einfach damit rausrücken konnte – gegen die Wände laufen, rumschreien, egal was. Ich wollte nur, dass er etwas tat, was ihn erleichterte. Und mich dazu.
Um meinen aufsteigenden Zorn abzuleiten, ging ich zur Stereoanlage und legte die ›17 Hippies‹ auf. Ich mochte diese schrille Musik. ›Und es wallet und siedet und brauset und zischt‹. Die ›17 Hippies‹ und Schiller. Irgendwie passten sie zusammen. Diese Intensität, der Spaß an wogenden, überschießenden Rhythmen. Ich bewunderte den alten Friedrich, den in meinen Augen einzigen echten Klassiker, mit der Wehmut einer Vierzigjährigen, die es verpasst hatte, Germanistik zu studieren. Vielleicht hätte ich es dann geschafft, alle seine Dramen zu lesen.
»Kea, muss es ausgerechnet diese CD sein?«
Ich drückte auf ›aus‹. »Was ist los, Nero?« Die ›17 Hippies‹ waren keine gute Idee gewesen.
»Entschuldige. Ich bin
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