Wasdunkelbleibt
angespannt.«
Das bist du immer, wollte ich sagen, aber ich schluckte den Satz runter.
Wir aßen schweigend. Nero hatte die Bouillabaisse kurz aufgewärmt. Ich mochte Fischsuppe nicht besonders, aber diese war köstlich. Als wir beim Bananenpfannkuchen angekommen waren, konnte ich nicht mehr an mich halten.
»Was passiert mit dir, Nero?« Am liebsten hätte ich angefügt: Du bist zu 100 Prozent ungenießbar. Ganz anders als dieses Essen hier.
Nero drehte sein Weinglas und sah aus dem Fenster. Er wirkte abgearbeitet und verhärmt. Ein echter Miesnieselpriem in seinem Cordanzug.
»Stress sieht anders aus«, machte ich weiter, nur damit wenigstens einer von uns etwas sagte. »Man kann eine Weile Ärger in der Arbeit haben. Aber das, was dich quält, ist doch viel mehr als nur die Plackerei im Job!«
Er zuckte die Achseln.
»Du hast zu nichts mehr Zeit, Nero. Und wenn du mal einen Abend für dich hast, kannst du ihn nicht genießen.« Ganz so vorwurfsvoll hatte ich nicht klingen wollen.
»Für dich ist das leicht, Kea! Du kannst abschalten, wenn du willst. Ich kann das nicht.«
»Unsinn. Ich kann genauso wenig abschalten. Es sei denn, ich lehne einen Kunden ab. Zugegeben. Das kannst du nicht.«
»Mir ist alles zuviel.«
»Du solltest dich krankschreiben lassen.«
»Ach, wunderbar. Das ist es, was die ganze bescheuerte Gesellschaft tut. Sich krankschreiben lassen. Die rennen jahrelang zum Psychologen und machen auf depressiv, damit sie mit Mitte 50 glaubwürdig in die Frühpensionierung abtauchen können.«
»Das habe ich nicht gemeint.«
»Es läuft darauf hinaus, Kea. Weißt du, warum du so viele Steuern abdrückst? Als alleinstehende, kinderlose Freiberuflerin? Weil da draußen haufenweise Beamte dicke Pensionszahlungen abkassieren. Die haben keine Depressionen, die haben allenfalls einen Tennisarm. Aber sie haben glaubwürdig dargelegt, dass sie nicht mehr in die Schule gehen können, ins Amt, was weiß ich. Weil sie allergisch auf Schüler sind. Oder auf …«
»Kriminelle?« Ehrlich gesagt, ich hätte Verständnis, wenn die Leute aus Neros Team früher in Pension gehen würden. Bei all dem Horror, der ihnen im Laufe eines Arbeitslebens zugemutet wurde!
»Ich will da nicht mitspielen, verstehst du?« Endlich löste er seinen Blick von der Finsternis draußen und drehte sich zu mir um. In der Scheibe spiegelte sich sein Profil. Blass, elend. Abgenutzt, irgendwie. »Ich will nicht so werden. Ich habe immer eine gewisse Ethik hochgehalten. Weißt du, wie manche Kollegen mit den Delinquenten umgehen? Die können nicht mehr anders. Die lassen den Frust, die Gängelung und die Machtlosigkeit an den Verdächtigen aus.« Er wandte sich wieder ab. »Machtlosigkeit. Wahrscheinlich ist es das. Du bist nur ein Rädchen im Getriebe. Im Getriebe der Welt, der Kriminellen, die du aushebeln willst, wenigstens Ordnung an einer Stelle machen, auskehren, neu streichen und dich freuen an einem sauberen, hellen Raum in der Weltgeschichte. Aber dann grätschen dir die Vorgesetzten die Beine weg.«
Ich setzte mich aufs Sofa. Als müsste ich eine neutrale Zone zwischen uns etablieren, einen Abstand, der es Nero erlaubte, weiterzusprechen. Himmel, wie war ich dankbar, dass ich keinen Vorgesetzten hatte. Obwohl ich Polizeioberrat Woncka bislang nicht unbedingt für einen Drachen gehalten hatte.
»Du bist zu ehrlich«, sagte ich.
»Verdammt, wenn man nicht mehr ehrlich sein kann … Wofür lohnt es dann?«
»Was – das Leben?«
»Das sind Psychosprüche. Ich mache meine Arbeit gern.«
»Aber du bist erschöpft. Du zweifelst. Du denkst, du machst sie schlecht.«
Nero drehte sich zu mir. Irgendein Teufelchen in mir wollte diese Leichenbittermiene nicht ansehen. Wie geht es mir eigentlich?, fragte ich mich im Stillen. Bin ich immer glücklich mit meinen Aufträgen? Wie oft quäle ich mich durch Seiten voller Lappalien, ändere ein ums andere Mal einen Text, weil der Kunde nicht zufrieden ist? Wie oft hätte ich einen von diesen eingebildeten Lehrertypen gerne zum Malochen aufs Spargelfeld geschickt und ohne Groll auf mein Honorar verzichtet?
»Ich mache sie schlecht, weil ich nicht die Voraussetzungen habe, die nötig sind. Woncka stellt mich auf ein Nebengleis. Einen Patch bauen, der unser Intranet sicherer macht. Weil ich so blöd bin, mir das Programmieren selbst beigebracht zu haben.«
»Wie Bastian.«
»Wer?«
»Ach, nichts.« Lieber Nero in seinem derzeitigen gramerfüllten, hypersensiblen Zustand nichts von
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