Wasdunkelbleibt
hatte ich mir für einen selbstzerstörerischen Mann an Land gezogen!
Nero presste die Hände an die Schläfen. Der Schnellkochtopf namens Nero Keller war am Explodieren. Demnächst würden die Fetzen fliegen, aber wie üblich würde er die ganze Aggression nach innen richten und sich selbst wehtun. Anstatt endlich auszusprechen, was in ihm vorging.
»Wir könnten Peter Jassmund anrufen«, schlug ich vor. »Wann habt ihr euch zuletzt gesehen?« Mit Hauptkommissar Jassmund hatte Nero in seiner Zeit bei der Mordkommission in Fürstenfeldbruck zusammengearbeitet. Die beiden waren Freunde. Dachte ich zumindest.
»Ist mindestens ein halbes Jahr her.«
»Dann wird es Zeit.« Ich hielt ihm das Telefon hin. »Frag ihn, wie es ihm geht. Ob er gelegentlich Zeit auf ein Bier hat.«
Gehorsam nahm Nero den Hörer. Seinen Unwillen sah ich ihm an. Doch er wollte unseren ersten gemeinsamen Abend seit geraumer Zeit wohl nicht ins Leere laufen lassen.
»Peter? Hier ist Nero.« Er brach ab und hörte eine Weile konzentriert zu. »Okay. Ruf mich an. Ich bin bei Kea.«
»Was war los?«
»Er ist an einem Tatort. Ein junger Mann ist im Wörthsee ertrunken.«
16
Man hatte ihm Geld in Aussicht gestellt. Weil er noch bei den Eltern wohnte, war es natürlich keine gute Idee, den Umschlag mit den Scheinen in den Briefkasten werfen zu lassen. Vor allem seine Mutter witterte seit der Sache damals an allen Ecken und Enden gefährliche Verschwörungen. Wehret den Anfängen, sagte sie mindestens einmal am Tag, und das bezog sich auf Ameisenplagen genauso wie auf die vermeintlichen Gefahren, denen ihr Sohn im Internet ausgesetzt war.
Er hatte ja den Roller und damit konnte er leicht irgendwo hinfahren und jemanden treffen. Verdammt, er war jetzt 18! Zeit, die Bevormundung abzuschütteln.
Der November war widerlich. Es hatte früh zu schneien begonnen. Die Nebensträßchen, die durch das Fünf-Seen-Land führten, waren überzogen von einer Schicht Matsch. Halb Schnee, halb Eis, das Ganze garniert mit Streusalz. Eine Art Gelee.
Er dachte an das Geld und daran, was er sich dafür kaufen würde. Zuviel auf einmal auszugeben, kam nicht infrage. Er würde ganz vorsichtig investieren. Erstmal einen neuen Rechner anschaffen. Und Zubehör. Nicht alles im gleichen Geschäft, sondern sauber über München verteilt. Das war das Positive an der Großstadt: Keiner kannte ihn da. Er brauchte bloß mit dem Roller zur S-Bahn-Station fahren, in den nächstbesten Zug springen, und schon verschwand er von der Bildfläche. Unsichtbar auf den verschlungenen Wegen von Hunderttausenden gleitend, die durch die Stadt eilten, zur Arbeit, nach Hause, zur Schule. Die sonstwohin unterwegs waren, und für die sich kein Aas interessierte. Auf dem Land guckten die Leute ihn bis heute schräg an. Er war ein Gezeichneter. Das störte ihn nicht besonders. Er hatte dieses Ding gedreht, damals, da war er jung und beeinflussbar gewesen. Verdammt, seines Erachtens war da nichts Falsches dran gewesen. Man hatte ihn über den Tisch gezogen. Das sollte jetzt nicht mehr passieren. Er war gewappnet, hatte dazugelernt. Eigentlich stellte er sich das Älterwerden nicht mehr so schlimm vor. Früher, da hatten er und Joss über die Erwachsenen gelästert. Sie wollten nie so werden, so fertig, so deprimiert, so durch und durch öde. Aber seit einigen Monaten fand er, dass es ein ziemlicher Vorteil war, 18 zu sein. Joss allerdings hatte nur noch Augen für Mädchen. Ira war längst weitergezogen, hatte den verblüfften Joss sitzen lassen. Daraufhin hatte der die Initiative ergriffen und sich eine nach der anderen an Land gezogen. Mal für drei Wochen, mal für drei Monate, mal für ein halbes Jahr. Nie länger.
Bastians Erfahrungen gingen in eine andere Richtung. Sarah war das erste Mädchen, das er wirklich große Klasse fand. Wenn er es recht bedachte, konnte er mit niemandem. Außer mit Sarah eben. Er genoss das Alleinsein. Er machte in seiner freien Zeit, was er wollte, ohne Rücksicht zu nehmen. Er überlistete Systeme und fühlte sich stark dabei. Seine Hacks machten ihn stolz.
Er rollte durch die frühe Dämmerung. Die Übergabe würde am Wörthsee stattfinden. Im Winter, wenn der See zugefroren war, ging er gern zum Schlittschuhlaufen hin. Um eine Weile offline zu sein. Das fand seine Mutter dann okay. Er grinste. Das Visier seines Motorradhelms beschlug und er klappte es auf. Genoss die feuchte Kälte in seinem Gesicht.
Bastian lachte in sich hinein. Er würde die
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