Wasdunkelbleibt
ich sparsam war, für einen Monat in einer günstigen Ferienwohnung auf den Kanaren reichen. Inklusive Flug. Was mich zur nächsten Frage führte: Woher hatte Bastian das Geld? Von seinem Vater? Würde das bedeuten, sein Vater wusste von mir? Obwohl Geister von Haus aus unsichtbar waren, kannten mich natürlich etliche Leute in Ohlkirchen. Insbesondere jene, die früher das Piranha unsicher gemacht hatten. Die Anmachkneipe, die nun einem Restaurant gewichen war. Dessen Eigentümer darauf bestand, meinen Namen mit auf das Cover seiner Autobiografie zu schreiben.
Verdammt.
Ich hatte wahrhaftig noch ein Glas Rotwein nötig.
20
23.11.2010
Nero parkte seinen Wagen. Er war spät dran. Das war nicht seine Art. Die kurze Nacht steckte ihm in den Gliedern und natürlich die Aufregung um den Toten am Wörthsee. Er konnte seine Gefühle nicht verleugnen, sein Entsetzen über ein dahingerafftes Leben einfach abtun. Nero rutschte auf einem Haufen nasser, faulender Blätter aus und fluchte. Seine Chipkarte öffnete ihm die Eingangstür. Er stürmte die Treppen hinauf zu seinem und Freiflugs Büro. Wenn er daran dachte, dass er sich vor drei Jahren hier voller Hoffnung beworben hatte! Ein neuer Schritt in seinem Leben sollte das LKA sein, weit weg von den Kriminellen der Kleinstadt, den Schulhofdealern, dem Hickhack um Gelder für die Streetworker. Stattdessen war er in einem Natternnest gelandet.
Warum empfinde ich so?, fragte er sich, als er die Hand an die Klinke legte und die Bürotür aufstieß.
»Nero! Endlich!« Freiflug stand am Fenster mit dem Rücken zur Straße und sah ihn an. »Woncka hat das Büro vorhin beinahe zu Kleinholz verarbeitet.«
»Warum das?« Nero atmete tief durch. Das Wichtigste im Leben war, einfach zu atmen. Irgendwo hatte er das gelesen. Vermutlich in einer Klatschzeitung beim Friseur.
Freiflug guckte ihn so überrascht an, dass Nero grinsen musste. Doch da mischte sich noch etwas anderes in den Blick seines Kollegen, als er ihn durch seine Nickelbrille ansah. Verachtung? Ungläubigkeit?
»Komm!« Freiflug winkte ihn an seinen Arbeitsplatz. Die altbekannte LKA-Homepage war geöffnet. »Schau dir das an! Woncka schäumt. Nicht nur er. Das geht nach ganz oben!«
»Verdammt.« Nero traute seinen Augen nicht. Der Bildschirm war in einem transparenten Grau gehalten. Er erkannte links oben das Emblem der bayerischen Polizei, rechts das bayerische Wappen, verdunkelt, als habe jemand Tinte darüber gegossen. Eingeschwärzte Löwen. In roten Lettern stand in der Mitte des Bildschirms:
›x 03 hat ein paar Links gelöscht und bedankt sich für die Dateien zu einigen Ihrer aktuellen Fälle. Cheerio!‹
Nero setzte sich auf Freiflugs Stuhl. »Seit wann?«, fragte er tonlos und führte die Maus zu dem Link ›Erreichbarkeit‹. Normalerweise musste hier eine Anfahrtsskizze zum LKA kommen. Aber der Link war tot.
Das hier war nicht wahr. Nach dem Todesfall gestern war das nicht wahr. Nero verstand erst jetzt, was er nie einkalkuliert hatte: Die Leichen dort draußen gehörten der wirklichen Welt. Dies hier, auf dem Bildschirm, war ein Fenster zu einer Parallelwelt, die aus dunklen, klebrigen Fallen bestand. In der man noch weniger als in der sogenannten Realität wusste, wer gut und böse war. Man war sich nicht einmal sicher, mit wem man es zu tun hatte.
»Wer ist x 03 ?«, fragte Nero schwach.
»Kröger und Sigrun sind dran.«
Neros Brust schnürte sich zusammen. Ganz langsam, aber so bedrohlich, als käme ein Tiger federnden Schrittes auf ihn zu. Er ließ die Schultern kreisen, um die Verspannungen abzuschütteln. Sein Gesicht begann zu glühen, und der Kaffee, den er vor einer guten Stunde in aller Eile getrunken hatte, gluckerte ätzend seine Speiseröhre hinauf.
»Wieso ausgerechnet die beiden? Macht nicht Roderick üblicherweise solche Geschichten?«
»Zufall. Kröger war einfach früher im Büro heute Morgen. Der gehört zu den senilen Bettflüchtern.« Freiflug versuchte ein Lachen. »Stand wohl schon kurz nach sechs Uhr auf der Matte. Kann sein, dass seine Lebensgefährtin ihn zu Hause zu arg beansprucht.«
»Welche Daten haben sie abgegraben?«
»Darum kümmert sich Roderick.«
»Das schafft er nicht allein.«
»Er kriegt Verstärkung von ein paar IT-Forensikern.«
»Wer hat die Schweinerei entdeckt?« Nero wies auf den Bildschirm.
»Die Telefonzentrale. Die manipulierte Webseite muss sich zwischen fünf und halb sechs hochgefahren haben.«
»Ist es nur unsere
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