Wasdunkelbleibt
Roller an der Straße abstellen und am Ufer auf und ab gehen? Um seinen nächsten Hack zu überdenken? Hatte er nicht aufgehört? Selbst wenn er sich als Robin Hood verstand, der die verschlungenen Pfade des Cyberspace belagerte, um die Firewalls nach Schwachstellen abzusuchen – er bewegte sich in der Illegalität und musste damit rechnen, angeklagt und verurteilt zu werden, sobald man ihn aufspürte. Bei seiner Vorgeschichte konnte er nicht unbedingt mit Milde rechnen.
Ich ging seine Papiere zum x-ten Mal durch. Er hatte mit den Einbrüchen aufgehört. In seinen Notizen schrieb er, keinen Sinn mehr im Hacking zu sehen, weil es einen aus der Bahn warf. Ich schob die Blätter sorgsam zusammen. Die Anklage, der Prozess und schließlich die Verurteilung , die sozialen Trainingsmaßnahmen und die Stunden gemeinnütziger Arbeit hatten Bastian geschlaucht. Obwohl letztlich alles glimpflich abgelaufen war. Dennoch war Bastian Hut stigmatisiert. Erst recht in so einer kleinen Gemeinde, wo alle alles über alle wussten.
Hatte er etwas Neues laufen gehabt? Und war er dabei aufgespürt worden?
Sobald Jassmund und seine Kollegen morgen halbwegs ausgeschlafen die Akten durchgingen, würden sie entdecken: Bastian Hut war kein Unbekannter. Er war ein verurteilter Hacker.
Bastian. Dv 0 ttny. Bastian. Dv 0 ttny. Zwei Seelen, ach, in einer Brust. Ich legte den Kopf auf die Unterlagen und schloss die Augen. Sollte ich mich tot stellen? Ich hatte nie von Bastian Hut gehört, ihn nie gesehen. Ich wusste nichts über ihn.
Bastian und ich hatten nie Mailkontakt gehabt, nie telefoniert. Elektronische Spuren von ihm zu mir oder mir zu ihm gab es keine. Einmal war er hier gewesen. Dafür konnte es keine Zeugen geben, dank meiner einsamen Klause. Ich hatte mit niemandem über das Projekt gesprochen. Doch. Hatte ich. Mit Claude-Yves. Egal. Ihm würde ich signalisieren, dass er nichts zu wissen hatte über Bastians Auftrag und die Seiten, die ich im Nebenraum des Méditerranée redigiert hatte.
Ob Bastian jemandem von seiner Ghostwriterin erzählt hatte? 18-jährige waren mitteilsam. Nicht den eigenen Eltern gegenüber. Ich dachte an seine Aktivitäten im Chatroom. Ich würde dort nie hinfinden, geschweige denn die Leute ausmachen, die Bastian kannten. Nein, nicht Bastian, Dv 0 ttny. Mein Kopf brannte. Es würde schwierig werden, Dv 0 ttnys Auftrag zu verheimlichen, ging mir auf, während die Novemberkälte mir langsam die Beine hochkroch. Sollte Bastian ermordet worden sein, würden die Beamten seinen Rechner filzen. Bei seiner Vergangenheit wäre genau das die erste Amtshandlung. Aber was konnte dabei ans Licht kommen? Eine Verbindung zu mir?
Langsam dämmerte mir, warum Bastian seine Notizen für mich mit der Hand geschrieben hatte.
Mein Geist war matt vom Rotwein, der Müdigkeit und all den widerstreitenden Gedanken. Morgen könnte ich Jassmund anrufen. Sagen, he, ich kenne den Typen, den Bastian. Ist mir nur gestern nicht eingefallen. Ich war so geschockt, so betrunken, so…
Nero würde mich umbringen. Natürlich nur metaphorisch. Unsere Beziehung würde sich weiter verkomplizieren.
Bastian. Ein netter Kerl, einer mit strahlenden Augen, einer, von dem man sich gar nicht vorstellen mochte, dass er viele Stunden seiner Freizeit an einem Rechner verbrachte, wo er verbotene Wege ging. Wege, von denen ich am liebsten nichts wissen wollte. Ich griff mir an den Bauch. Meine Narben schmerzten. Das kam oft vor im Winter. Die Kälte machte irgendetwas mit meinem Gewebe. Konnten Narben überhaupt wehtun? Oder kam der Schmerz von ganz woanders her und tat nur so, als hefte er sich an die Narben, die meinen Bauch und meinen Oberschenkel durchfurchten? Mein Körper sah an diesen Stellen aus wie ein gepflügter Acker. Die Verunstaltung ging auf einen Bombenanschlag zurück. War schon ein paar Jahre her. Zu lange, um sich noch groß einen Kopf darüber zu machen. Ich stand auf und trat ans Fenster. Die Dunkelheit klebte wie eingetrocknete Tinte über dem Land. Wie liebte ich in den langen Sommernächten den zarten Glanz über den Hügeln, den Wald oben am Hang hinter meinem Haus, die Pferdekoppeln auf der Südwestseite und den Blick zum Ohlkirchener Kirchturm. Ich dachte daran, was Jassmund über den Winter gesagt hatte. Wann war es so weit, dass man abhauen konnte, regelmäßig und geplant, jeden Winter? Der Jammer war: Es könnte jederzeit so weit sein. Was mich hielt, war meine eigene Unentschlossenheit. Dv 0 ttnys Anzahlung würde, wenn
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